Redaktion im Visier

■ JournalistInnen werden zunehmend Opfer polizeilicher Übergriffe, immer häufiger werden Zeitungen durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt. Die Pressefreiheit wird schleichend abgebaut Von Wolfgang Gast

Redaktion im Visier

Die Herrschaften wußten genau, wonach sie suchten. Sie stellten die Redaktionsräume der Stuttgarter Zeitung auf den Kopf, durchsuchten die Wohnung eines Zeitungsmannes und schauten sich auch dessen Dienst- und Privatwagen an. Selbst vor der Bleibe der Lebensgefährtin des Journalisten machten Staatsanwälte und Polizisten nicht halt. Autor Rainer Laubig hatte im März vergangenen Jahres über einheimische Mafia-Connections berichtet. Er stützte sich dabei auf ein Geheimdossier der Staatsanwaltschaft für den Abhöruntersuchungsausschuß des Landtages. Ein brisantes Papier, das neben Pannen und Kommunikationsproblemen bei den Strafverfolgern auch ebenso geheime wie illegale Lauschangriffe gegen Anwaltskanzleien aufführte.

Am Tag nach der Veröffentlichung kam die Polizei. Sie begründete die umfangreichen Durchsuchungen mit dem „Verdacht der Verletzung von Dienstgeheimnissen durch Unbekannte“, der Autor wurde mit einem Ermittlungsverfahren wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ überzogen. Die Ermittlungen wurden schließlich eingestellt – Monate später. Kein Einzelfall. Journalisten erfreuen sich eines wachsenden Interesses der Staatsanwälte.

Zwei Tage vor der Stuttgarter Aktion ließ die Staatsanwaltschaft Wiesbaden die Büros und Privatwohnungen dreier Journalisten durchsuchen. Das Trio hatte das Buch „Das RAF-Phantom“ veröffentlicht. Beschlagnahmt wurden Akten, Tagebücher und Kontoauszüge. Der Vorwurf der Strafverfolger: „Teilnahme an der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“. Das Autorentrio soll „widerrechtlich“ aus Ermittlungsakten und Verschlußsachen des Generalbundesanwaltes in Karlsruhe Kopien angefertigt haben. Und weil ein Buch im Sinne der Pressegesetze kein „Periodikum“ darstellt, konnten sich die Schreiber noch nicht einmal auf einen „Informantenschutz“ berufen.

Polizei und Staatsanwälte versuchen immer häufiger, Journalisten in die Rolle von Hilfsarbeitern bei der Strafverfolgung zu zwingen. Ein Schlaglicht besonderer Güte deckte am Dienstag dieser Woche das ZDF-Magazin „Frontal“ auf. Im Rahmen der Fahndung nach dem Immobilienhai Jürgen Schneider hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft die Mobiltelefone von „Frontal“-Mitarbeitern überwachen lassen. Die recherchierenden Journalisten, so die Hoffnung der Ermittler, sollten den Weg zum untergetauchten Konkurskönig weisen. Als Skandal im Skandal kam hinzu, daß der Mobilfunkbetreiber „DeTeMobil“ offensichtlich in vorauseilendem Gehorsam tätig wurde: Die Überwachung kam nach einer schlichten telefonischen Anfrage in Gang, die gesetzlich vorgeschriebene richterliche Genehmigung wurde erst später nachgereicht. ZDF-Intendant Dieter Stolte sah „ernstzunehmende Anzeichen dafür, daß der durch das Grundgesetz und die Strafprozeßordnung gewährleistete Informantenschutz für Presse und Rundfunkjournalisten in der Praxis unterlaufen“ wird.

Die „ernstzunehmenden Anzeichen“ häufen sich schon länger. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, verschieben die Strafverfolgungsbehörden das ohnehin schon komplizierte Verhältnis zwischen Berichterstattung auf der einen und der Strafverfolgung auf der anderen Seite systematisch zu ihren Gunsten. In den letzten Jahren häuften sich die Eingriffe in die Pressefreiheit sowie die Übergriffe auf JournalistInnen und Medien. Auf Initiative einiger JournalistInnen hin hat sich in Bayern die Fachgruppe Journalismus der IG Medien verstärkt dem Thema Eingriff in die Pressefreiheit gewidmet. Als Ergebnis einer kleinen Arbeitsgruppe beim Bundesvorstand der IG Medien liegt jetzt eine Bröschüre „Hände weg von den Medien“ (mit einer Dokumentation der Übergriffe der letzten Jahre) vor. „Hände weg ...“ soll zur Kampagne werden, sie steht im Mittelpunkt des 10. Journalistentages der Mediengewerkschafter, der heute in Berlin stattfindet.

Das Zeugnisverweigerungsrecht für JournalistInnen wird in der Strafprozeßordnung geregelt. Zeitungs- und Rundfunkmitarbeiter sind danach berechtigt, „über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen“ jede Auskunft zu verweigern. Ausdrücklich einbezogen sind von Informanten „gemachte Mitteilungen, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt“. Darüber hinaus gilt bei JournalistInnen ein Beschlagnahmeverbot für „Schriftstücke, Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, die sich im Gewahrsam dieser Personen oder der Redaktion des Verlags, der Druckerei oder Rundfunkanstalt befinden“. An sich eine wunderbare Regelung.

Der gesetzlich so geregelte weitreichende Schutz, weder Informanten noch deren Materialien preisgeben zu müssen, wird an anderer Stelle des Strafgesetzbuches allerdings wieder ausgehebelt. Danach gelten die Beschlagnahmeverbote nicht, „wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren“. Diese Regelung haben die Staatsanwälte bundesweit zum Freibrief für ihre Beschlagnahmeaktionen umgedeutet. Das veröffentlichte Bekennerschreiben, „durch eine Straftat hervorgebracht“; der publizierte Geheimbericht – eine Verletzung des Dienstgeheimnisses. Der Schutz der Meinungsfreiheit wird immer mehr zur Fiktion. Unterlaufen wird so auch die langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVG).

Die höchste Spruchinstanz der Republik hat der Presse in vielen Entscheidungen immerhin die Funktion zugewiesen, „Mißstände aufzuklären, an deren wahrheitsgemäßer Darstellung die Betroffenen kein Interesse zeigen“. Die Medien hätten die Aufgabe, „als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen Vertretern in Parlament und Regierung“ zu wirken. Deshalb, so das BVG, sei der Staat verpflichtet, „in seiner Rechtsordnung überall, wo der Bereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen“ – mit anderen Worten: auch bei der Recherche, bei der Verbreitung von Nachrichten wie Kommentaren, beim Informantenschutz wie auch beim Redaktionsgeheimnis. Die Staatsanwälte interessiert das schon lange nicht mehr.