Handwerksehr',Grünkohl & Eifersucht

■ Dem Waldau-Theater gelang mit einer staubfreien „Meister Anecker“-Premiere mehr als eine Milieustudie

Eine Butterfahrt nach Helgoland ist eine Butterfahrt nach Helgoland und keine Expedition an den Nordpol. Zu neuen, unbekannten Ufern der Schauspielkunst bricht man in Walle auch diesmal nicht auf. Das Waldau-Theater hält, was es verspricht. Daß dieser Theaterabend auch für die vereinzelt erschienenen Freunde des Hochdeutschen mehr als eine Milieustudie ist, muß als Beitrag zur Völkerverständigung im Norden vermerkt werden.

„Meister Anecker“, einer der beliebtesten Schwänke aus dem Repertoire des Niederdeutschen Theaters war schon zu seiner Entstehungszeit 1940 ein Stück, das vor der Realität flüchtete. Richtung: heile Welt des Biedermeier. Ausgeklammert bleiben alle störenden Einflüsse der Moderne. In dieser Idylle aus der Kleine-Leute-Welt, in der Hausfrauen ausschließlich in frisch gestärkter weißer Rüschenschürze und wahlweise auch mit einer Rührschüssel im Arm aus der Küchentür heraustreten, leben verblüffenderweise alle ohne drückende Sorgen: die tüchtige Ehefrau Lene (Renate Huckstedt) und ihre unverheiratete Schwester Elsbe (Imke Bahr) und der Geselle Matten (Heino Stichweh) vom Einkommen der Schusterei des Meister Andecker (Rolf Bahr). Hier hat Handwerk noch goldenen Boden. Sogar doppelt gesichert.

Statt der existenziellen Sorgen der 30er Jahre drückt in dieser völlig belanglosen Handlung über die unbegründete Eifersucht des Schustermeister höchstens mal ein Schuh. Mit diesem kommt der Bürgermeister (Johann Altenburg) zur Tür hinein, um Lenes Schwester Elsbe wiederzutreffen. In seiner übersteigerten Eifersucht glaubt Meister Anecker, der Besuch gelte seiner Frau, was die üblichen Konfusionen des Boulevardtheaters herbeiführt. Aus der Grundaustattung der Welt von Gestern wird alles geboten, was dazugehört. Komplettiert wird diese Jahrhundertwende-Glückseligkeit durch ein aufwendiges Bühnenbild. Meister Andeckers Schusterwerkstatt ist nicht nur mit Butzenscheiben ausgestattet und mit Antiquitäten vollgestopft, auch an den Wänden biegen sich die Fachwerkbalken wie in der Asbach-Uralt-Reklame.

Daß solch theatralische Banalität sich zu mehr aufschwingt als solider Hausmannskost und nach genau 90 Minuten weder schwer im Magen liegt noch Sodbrennen verursacht, ist umso erstaunlicher und kein Zufall. Es istder Tatsache zu verdanken, daß Regisseur Dieter Jorschik im Waldau-Theater nicht nur Handwerksidyllen nachbastelt, sondern selbst ein guter Handwerker ist. Er erliegt nie der Versuchung, die traute Heimeligkeit des Stücks bequem und breit zu spielen. Durch das Tempo seiner Inszenierung holt er aus dem niederdeutschen Text das letzte an Witz heraus. Stützen kann er sich dabei auf ein Ensemble, das weiß, was es tut und dies plattdeutsche Stück von seiner musealen Staubschicht befreit. Besonders treffsicher in ihrer Charakterisierung der gewitzten Ehefrau erwies sich Renate Huckstedt, und Heino Stichweh gelang es, dem versoffenen Handwerksgesellen Matten fast die Tiefe eines Shakespeareschen Narren zu verleihen. Stehende Ovationen im fast ausverkauften Waldau-Theater, wo man gute darstellerische Leistungen offensichtlich zu schätzen weiß. Susanne Raubold

Nächste Aufführungen: 28.11., 1.12., 20 Uhr, 2.12., 19 Uhr