Stille Nacht, Techno-Nacht

■ Der 1. Bremer Techno-Laternenumzug war eher erleuchtetes Schlendern als Rave

Der alljährliche Berliner Techno-Jünger-Vereinigungsmarsch „Love-Parade“ gerät immer mehr in Mißkredit. Der Legende nach ursprünglich von allen Kommerzgedanken frei, wird die Großveranstaltung zusehends unterwandert von werbenden Konzernen wie „Haribo“ und einfallslosen Musikvideomachern, die verläßlich dafür sorgen, daß jedes zweite Techno-Video mit Aufnahmen der letzten Love-Parade vollgestopft wird. So sollte der Techno-Laternenumzug „Laterne, Laterne“, der am Freitag auf dem Bremer Marktplatz startete, auf keinen Fall werden. Keine riesigen Laster mit noch riesigeren Boxen, keine Gratispackungen Lakritze von sponsernden Unternehmen. Stattdessen kleinere Soundsystems und selbstgebastelten Laternen.

Die Soundsystems bestanden in diesem Falle aus jeweils einer Person, die jeweils einen Kassettenrekorder bei sich trug. Sonderlich laut war das nicht, so daß man sich schon arge Mühe geben mußte, stets in unmittelbarer Nähe eines „Soundsystems“ zu sein, wenn man die Musik hören wollte. Wenigstens sammelte sich um 21 Uhr ein zielgruppenübergreifendes Völkchen unter dem Roland. Neben den erwarteten Techno-Fans und Szenepromis wie Günther Kahrs (der sich diesmal per Ghettoblaster in ein „Soundsystem“ verwandelt hatte) fanden sich auch einige zufällig vorbeigekommene Passanten unter den Laternelaufwilligen sowie ein paar echte Kinder samt Eltern. Fraglich ist, welchen Eindruck von der Institution des Laternelaufens diese Kinder später an ihre Kinder weitergeben werden. Auf jeden Fall den, daß man viel warten muß. „Müssen wir hier noch lange rumstehn?“ quengelte manch kleiner Racker, denn trotz angekündigt pünktlichem Abmarsches schien zunächst niemand zu wissen, wann es in welche Richtung losgehen sollte oder wer das wissen könnte. Löste sich eine größere Clique aus dem Pulk, dackelte man ihr ratlos hinterher, bis sich doch jemand entschlossen hatte, die offizielle Führung zu übernehmen. Los ging die fröhliche Meute unter skeptischen Blicken von Obdachlosen und Spielbankangestellten durch die Böttcherstraße in Richtung Weserufer. Dabei wurde es für eine Rave-Veranstaltung beängstigend still. Durch die Straßenenge wurde die Menge zu einem Schlauch mit unvorteilhaft plazierten Soundsystems, und es dauerte eine ganze Weile, bis jemandem der Text des Original „Laterne, Laterne“-Songs einfiel, aber der wackere Solosänger verstummte schnell wieder, als niemand einstimmen mochte.

Gehörig besserte sich die Stimmung unter der „Galeria“-Überdachung. Endlich hatten die doch sonst auch nicht so stillen Techno-Fans realisiert, daß man notfalls selbst Geräusche machen kann, wenn der Tanzbeat nicht durchkommt. Es wurde geschrien und gejuchzt, was das Zeug hält. War aus einem fernen Soundsystem Technomusik zu hören, übernahmen die LaterneläuferInnen kurzerhand selbst das Anreichern und Verstärken der konservierten Töne mit rhythmischen Fieps-Geräuschen aus eigener Kehle und trugen die Musik praktisch „unplugged“ in die entlegeneren Ecken der Parade, was dort mit lautstarken Beifallsbekundungen aufgenommen wurde. Das so entstandene Gebrüll hob sich nicht wesentlich von den ausgelassenen Frohsinnsbekundungen betrunkener Fußballfans ab, und da solche erst wenige Stunden zuvor durch die Straßen gezogen waren, konnte keine Unmutsäußerungen von umliegenden BremerInnen registriert werden. Zumindest diese Geräuschkulisse aber unterschied die Parade von anderen Laternenumzügen, denn mit Laternen in den Händen konnte man nicht tanzen, was den Technoaspekt wieder ein wenig in den Hintergrund drängte.

Immerhin kamen die Laternen in den Wallanlagen recht hübsch zur Geltung, während auf dem Rest des Marsches die übliche Stadtbeleuchtung dem ganzen ein wenig die Atmosphäre stahl. Größere Originalität hätte man der normalerweise illuminationsbegeisterten Techno-Crowd allerdings schon zugetraut: Zumeist sah man kreisförmige Papplaternen von der Stange mit den üblichen Mondmotiven. Nur hin und wieder hatte man eine „Ariel ultra“-Packung per Teelicht zweckentfremdet oder sich selbst mit mehr Begeisterung als Talent einen entfernt herzförmige Leuchtkörper zusammengezimmert.

Andreas Neuenkirchen