: Deutscher Paß für MigrantInnen
■ Jugendliche und junge Erwachsene haben oft Rechtsanspruch auf Einbürgerung - ohne es zu wissen / Einbürgerungsoffensive berät
Geduldig warten die MigrantInnen im dritten Stock des Lagerhauses, bis sie an der Reihe sind. Hier führt die Einbürgerungsoffensive ihre regelmäßigen Beratungstermine durch.
Menschen aus diversen Ländern kommen hierher, um bei ihrem Versuch, deutsche Staatsangehörige zu werden, Hilfe zu finden. Die komplizierten Anträge, das Zusammenstellen der Papiere _ das alles setzt eine regelrechte Behördenodyssee voraus. Allein wären die MigrantInnen damit ebenso überfordert wie die meisten Menschen deutscher Herkunft.
Leman Ali Khan und Ulrich Barde von der Kinder- und Jugendinitiative Schildstraße, die die Einbürgerungsoffensive, unterstützt von der Ausländerbeauftragten und dem Senator für Inneres, im Juni 94 initiierten, kennen sich bestens aus. Mit viel Geduld widmen sie sich den individuellen Problemlagen der Ratsuchenden.
Da ist zum Beispiel Recai, ein junger Türke. Als sechsjähriger kam er 1972 mit seinen Eltern nach Deutschland und lebt seither hier. Damit erfüllt er die Voraussetzungen für eine „erleichterte Einbürgerung“, die mit dem neuen Ausländergesetz in Kraft traten. Danach haben alle MigrantInnen ab 23 Jahren, die mindestens seit 15 Jahren rechtmäßig in Deutschland leben, einen Rechtsanspruch aus Einbürgerung. Dasselbe trifft auf Jugendliche zwischen 16 und 22 Jahren zu, die mindestens seit acht Jahren rechtmäßig ihren Aufenthalt in Deutschland haben und einen sechsjährigen Schulbesuch nachweisen können.
Recai gehört zur sogenannten zweiten Generation der MigrantInnen. Seine Eltern hatten noch gedacht, einmal zurückzukehren. Doch dieser Traum hatte sich irgendwann überholt. Das letzte, was ihnen von ihrer Herkunft blieb, sind ein paar gelebte Erinnerungen und der türkische Paß. Den würden sie niemals abgeben. Aber sie akzeptieren, daß ihre Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen wollen.
Trotzdem war es für Recai nicht einfach, sich dafür zu entscheiden. Schließlich ist er in der Türkei geboren und aufgewachsen. Mit der Zeit aber ist ihm dort alles fremd geworden. „Ich käme da heute nicht mehr klar.“ Mit den Behörden kennt er sich nicht aus, die türkischen Verwandten betrachten ihn als „Besucher“, sein Verhalten ist ein anderes, erklärt er in geschliffenem Deutsch. Das spricht er besser als türkisch. In der Türkei sehe man auf ihn als „Deutschtürken“ herab, und hier diskriminiere man ihn als Ausländer. Ob auf der Behörde, dem Wohnungsmarkt oder bei der Arbeitssuche, stets gebe es die strenge Hierarchie, an deren Ende die Nicht-EU-AusländerInnen stehen. „Das muß mal ein Ende haben, irgendwann muß man doch akzeptiert werden.“
Darauf hofft auch der 33jährige Sedat. Wie Recai hätte er am liebsten die doppelte Staatsbürgerschaft. Anders als die Türkei akzeptiert Deutschland diese jedoch nur in Ausnahmefällen. Sedat kam 1968 nach Deutschland, ein Rücckehrversuch in die Türkei mißlang. Obgleich er schließlich 1988 von seinem deutschen Stiefvater adoptiert wurde, erhielt er nur eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung, die in unterschiedlichen Abständen zu verlängern war. „Ich habe immer Angst gehabt, wenn ich zur Ausländerbehörde mußte“, sagt Sedat, dem wie Recai mehrfach mit der Abschiebung gedroht worden war. „Wenn du nicht gut deutsch sprichst, behandeln dich manche, als wärst du der letzte Dreck.“
Dieselbe Erfahrung machte ein Tamile beim Sammeln seiner Unterlagen. Trotz mehrfacher Besuche beim Standesamt wartete er beispielsweise wochenlang auf die beglaubigte Kopie seiner Heiratsurkunde. Der Mann, der 1979 aus Sri Lanka nach Deutschland kam, braucht eine Unmenge Papiere, denn er erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine „erleichterte Einbürgerung“. Die ersten drei Jahre seines Aufenthaltes werden nicht anerkannt, da sein Asylantrag aufgrund seiner Eheschließung mit einer Deutschen nicht abschließend bearbeitet wurde. So ist der Tamile gezwungen, einen Einbürgerungsantrag nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz zu stellen. Der ist viel aufwendiger und kostet mit 500 Mark fünfmal mehr als die einfache Einbürgerung. Dem will der Mann nachkommen, wenn er nur Deutscher werden kann. Hier habe er seine Familie, sein Zuhause, ein Leben in Sri Lanka sei für ihn unmöglich.
Er wird nachweisen müssen, daß er sich „dem Deutschtum verbunden“ fühlt. So schreibt es das Gesetz vor. Wenn auch, anders als früher, heute auf Sprachprüfungen und fehlerfreie Diktate verzichtet wird, so macht ein Antrag den Einwnderungswilligen doch, wie Ulrich Barde sagt, zum „gläsernen Menschen“. Bis in die hintersten Ecken wird abgefragt, was ein Individuum gemeinhin in den Schubladen seines Daseins verbirgt: Geprüft wird die finanzielle Situation (Schufa), das Vorstrafenregister, oder ob bei Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfeempfang eigenes Verschulden vorliegt. Die Beurteilung liegt im Ermessen des Sachbearbeiters. Und dieser läßt sich in der Regel viel Zeit. Zu viel, meint Ulrich Barde. Zwar konnte 1995 in Bremen die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Einbürgerungsantrages von 24 auf 12 Monate reduziert werden, doch in anderen Bundesländern komme man mit drei Monaten aus. Vor zwei Wochen forderte daher die Mitgliederversammlung des DPWV von Bürgermeister Scherf und Innensenator Borttscheller, die Bearbeitungszeiträume, wie in der Regierungserklärung versprochen, zu verkürzen. Dafür seien die personelle Voraussetzungen in der Innenbehörde zu schaffen, und die Arbeit der Einbürgerungsoffensive müsse sichergestellt werden. Etwa 150 Anträge haben Ulrich Brade und Leman Ali Khan allein in diesem Jahr mit auf den Weg gebracht. Das entspricht etwa zehn Prozent aller Behördenanträge in 1995. „Was wir hier machen, ist eigentlich ein Beispiel für eine Verwaltungsstrukturreform“, sagt Barde. Denn hier werden die Probleme schnell erkannt und behoben, ob es nun um beglaubigte Übersetzungen geht, um fehlende Papiere oder um mißverständliche Formulierungen im Antragstext. Die Behörde, kritisiert Barde, verfüge nicht einmal über einen Kopierer auf dem Flur und lasse dann die Leute ein zweites Mal kommen, um jenes Papier nachzureichen.Das wichtigste aber für die MigrantInnen ist, daß sie bei der Einbürgerungsoffensive ihre Probleme in aller Ruhe besprechen können und keinerlei Willkür ausgesetzt sind. Das erfuhr auch der einbürgerungswillige afghanische Konsul, als er hier um rat fragte. „Was die hier machen, ist toll“, loben Recai und Sedat. „Da ist man anschließend selbstbewußter, wenn man zur Behörde geht.“ Dora Hartmann
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