„Moment, Kollege geht gleich!“

■ TopThema: Der Verteilungskampf als Wirtschaftsfaktor „Mobbing – Die lieben Kollegen“ um 19.25 Uhr im ZDF

Und immer wieder heißt es: „Mobbing“. Im Radio, in den Talkshows, auf den Titelblättern der Hör zu und nun auch im „Fernsehfilm der Woche“. Irgendwas an dem Wort hallt nach. Es läßt sich nicht wie eine Mode aus dem Haar kämmen. „Mobbing“ meint das Rempeln der Kollegen, das Pöbeln der Chefs und den Streik der Untergebenen. Früher, so scheint's, gab es noch andere Worte für dasselbe Bedeutungsfeld: Verteilungskampf, Unterdrückung und fehlende Solidarität. Das waren Zeiten! Aber die Helden der Dienstleistungsgesellschaft mobbeln eben lieber und lassen sich mobben. Das klingt irgendwie viel netter.

Nun erscheinen auch schon die ersten mobbeligen Statistiken. Jeder dritte Selbstmord soll mit Mobbing zu tun haben. Knapp 1,5 Millionen Arbeitnehmer leiden daran wie an einer Krankheit. 30 Milliarden Mark soll das Mobbing der Wirtschaft im Jahr kosten (Quelle: ZDF-Pressestelle). Das tut weh.

Nun versuchen sich Stefan Kolditz (Buch) und Bernd Böhlich (Regie), der mit seinen letzten zwei großen Filmen bereits der Grimme-Preis-Jury aufgefallen ist, an einem „politischen Film“ in Sachen Mobbing. Motto: „Sowas kommt nicht von ungefähr!“

Man sollte sich kein kämpferisches Sozialdrama erwarten, aber irgendwas an diesem Fernsehspiel ist so analytisch wie selten: Die junge, nette und dynamische, auch talentierte Architektin Rebecca (Annett Kruschke) verläßt zusammen mit ihrem kleinen Sohn ihre sächsische Kleinstadt, um in einem großen Architekturbüro in München ihre ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Ihr neuer Chef, ein väterlicher Geselle, hat sie dazu überredet. Aber er weist sie gleich zu Beginn seiner Abteilungsleiterin Doris Brauner (Annekathrin Bürger) zu. Und schon beginnt es zu mobbeln. Rebecca muß viel fotokopieren. Sie darf nicht als Architektin arbeiten, sondern nur unter Qualifikation als Bauzeichnerin. Die Kollegen wollen sich ihren Namen nicht merken. Uns schon fehlen ihr die ersten Unterlagen, falsche Informationen werden ihr zugespielt, sie wird immer heftiger unter Zeitdruck gesetzt und immerzu dumm angesext. Zu Hause klingelt sie dann ein anonymer Stöhner aus dem Bett, und auf dem PC im Büro flimmern wüste Drohungen. Also greift Rebecca immer öfter nach der Pillendose, und man versteht nicht ganz, warum sie nicht einfach ihre Koffer packt und heim nach Sachsen fährt.

Vielleicht wegen Nick (Joachim Nimtz), dem guten Kollegen mit der Liebe. Vielleicht auch wegen der heute gängigen Dramaturgie der Heldenfahrt. Doch nicht nur wegen der wunderbar erzählerischen Kamera von Gero Steffen, kann das einen auch freuen. Seine Bilder zeigen, wie eine ferngesteuerte Gruppendynamik auf einen einzelnen Menschen wirken kann. Dort Rebecca in Nahaufnahme und hier die Horde in der froschigen Totalen. Rebeccas Werdegang hebt an mit Bildern hinterrücks von oben und endet mit sauber gesaugten Teppichaufnahmen.

Aber Nick und Rebecca tun sich fest zusammen, und Rebecca findet schließlich heraus, daß ihr direkter Vorgänger nicht nur gemobbt wurde ... Kurzum: Was sozialanalytisch begann, endet unversehens im Krimi. Drehbuchautor Kolditz weiß das wohlfeil zu begründen. Wer heute gemobbt wird, sitzt morgen schon auf der Straße. Das sei der Alltag 1995. Nur lasse sich mit einem solchen Realismus kaum ein spannender Film machen. Und vielleicht hat er ja sogar recht damit. Marcus Hertneck