Dunkle Kapitel

■ Hamburgs NS-Justiz und die Bewältigung

Helge Grabitz hat vor 30 Jahren begonnen, die Rolle der Hamburger Justiz während der NS-Zeit zu erforschen. Und stieß damals bei den Herren Kollegen auf wenig Gegenliebe. Heute ist die Oberstaatsanwältin wesentlich am Projekt „Neuere Hamburger Justizgeschichte“ beteiligt. Dessen zweiten Buchband, eine kommentierte Sammlung von NS-Urteilen, hat Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem gestern vorgestellt.

„Von Gewohnheitsverbrechern, Volksschädlingen und Asozialen...“ und deren strafrechtlicher Verfolgung unter der Nazi-Diktatur berichtet der umfangreiche Band. Rund 100.000 Akten standen den WissenschaftlerInnen zur Verfügung. Bewußt bildeten nicht die Urteile der Sondergerichte, sondern Verfahren an Hamburgs Land- und Amtsgerichten den Schwerpunkt, um eine „typische Darstellung“ des Justizalltags zu erreichen, erklärte Hoffmann-Riem.

Das Projekt und dessen Veröffentlichungen dienten nicht nur einem historischen Interesse, meinte der Justizsenator. Die Forschungsergebnisse seien von hoher politischer Aktualität, die Diskussion um die Rehabilitierung von Verurteilten und die Wiederaufnahme von Verfahren aus der NS-Zeit müsse weitergeführt werden: „Das sind wir den Opfern schuldig.“

Wann die Diskussion beendet sein und in Handlungen münden könnte, verriet er nicht. Eine pauschale Aufhebung von Verurteilungen wegen „Wehrdienstvergehen“ wollen die Justizminister der Länder zwar fordern, so Hoffmann-Riem. Er bezweifle jedoch, daß der Bundestag sich dazu durchringt.

Die Schwierigkeiten, die eine Aufarbeitung des „dunklen Kapitels der Justizgeschichte“ nach 1945 begleiteten, könnten Inhalt eines dritten Projekt-Bandes werden, so der Senator hoffnungsfroh. Ob dafür ebenfalls öffentliche Mittel fließen, wußte er allerdings noch nicht. Stefanie Winter

Der 480 Seiten starke zweite Band „Neuere Hamburger Justizgeschichte“ ist im Ergebnisse-Verlag erschienen und kostet 58 Mark.