Ernst Thälmann im Sperrgebiet

Die Künstlerin Ruthild Hahne wird 85 Jahre. Sie sollte in den 50er Jahren das gigantische Thälmann-Denkmal am Potsdamer Platz gestalten  ■ Von Petra Welzel

Ernst Thälmann wäre mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, hätte ihn die SED-Herrenriege um Otto Grotewohl und Walter Ulbricht wie geplant in den 50er Jahren als Fahnenträger und Bollwerk gegen Faschismus und Kapitalismus aufstellen lassen. Das größte und monumentalste Denkmal des Arbeiter-und-Bauern-Staates sollte es werden mit bis zu 5 Meter großen Figuren der Bildhauerin Ruthild Hahne auf einer 60 Meter durchmessenden Plattform.

Ein Platz für den 1944 im KZ- Buchenwald ermordeten Märtyrer der Arbeiterbewegung war nach Kriegsende schnell gefunden. Aus der Asche der dem Erdboden gleichgemachten ehemaligen Reichskanzlei sollte sich der Thälmann-Zug als Verkünder des Neuen erheben, nahe der Sektorengrenze an der Wilhelmstraße dem Westen Faust und Fahne agitatorisch entgegenstrecken. Den Wilhelmplatz ließ die SED-Riege deshalb schon 1949 vorsorglich in Thälmannplatz umbenennen.

Die Bildhauerin Ruthild Hahne, antifaschistische Widerstandskämpferin und Kommunistin, war 1950 nach einem künstlerischen Wettbewerb mit einem „brauchbaren“ Entwurf für das Mammut-Denkmal beauftragt worden. An ihrem ursprünglichen Wettbewerbsbeitrag hatte das Preisgericht unter Grotewohl, Ulbricht und Hans Scharoun die von Waldemar Heinrich vorgeschlagene Rotunde als architektonische Lösung der Aufgabenstellung kritisiert. „Die isolierte Darstellung dieser Idee innerhalb eines von zwei schmalen Durchgängen betretbaren Raumes entspricht nicht der Aufgeschlossenheit der Gedankenwelt Thälmanns“, hieß es in der Begründung.

Ein neuer Entwurf war schnell konzipiert. Was lag näher, als aus der Kreisform einen spitz zulaufenden Keil zu formen, an dessen Spitze sich der Held der Arbeiterklasse den Wind um die Nase hätte wehen lassen können. Bereits der Konstruktivist El Lissitzky hatte in den Jahren nach der russischen Revolution dem roten Keil zum allgemeingültigen Symbol des unaufhaltsamen Kommunismus verholfen. Vera Muchina übersetzte die abstrakte Form dann für den sozialistischen Realismus unmißverständlich in ihrem „Arbeiterpaar“ auf dem sowjetischen Weltausstellungspalast in Paris 1937 in menschliche Proportionen.

Doch Ruthild Hahnes zweiter, diesen Vorbildern verpflichtete Entwurf kam nicht zur Ausführung. Trotzdem ließ das Kulturbüro die Bildhauerin 15 Jahre lang an dem monumentalen Objekt meißeln, für das sie ihre Stelle an der Kunsthochschule Weißensee aufgegeben hatte, und an dem sie letztendlich ihre künstlerischen Fähigkeiten für feinsinnige Porträts oder Knabenakte verschliß. Die Geschichte war andere Wege gegangen. Der Arbeiteraufstand 1953 hatte die innenpolitische Situation der Sektorenstadt verhärtet, der Mauerbau 1961 schließlich endgültig das Aus des nie vollendeten Denkmals eingeläutet. Für den 15jährigen Entzug der Kunst durch die Politik zahlte Hahne einen hohen Preis, entstanden doch fortan nur mehr politische Köpfe – etwa von Ulbricht – oder Jugendplastiken wie vor dem Kriege, aber nichts Neues. Obwohl der heute 85jährigen Künstlerin nach eigener Aussage in all den Jahren nie klar gewesen sei, wie das Thälmann-Denkmal genau aufgestellt werden sollte, hatte darüber im Zentralkomitee der Partei scheinbar nie Unklarheit bestanden. Der Grund für die Beendigung des Projektes 1965 lag eindeutig am Standort und in der Ausrichtung des Objektes.

Unter Ausschluß der Öffentlichkeit wäre der Zug Thälmanns unter seiner 50köpfigen Arbeiterschar in einer Sackgase geendet, vermutlich vor einem Schild mit der Aufschrift: „Achtung, hier Sektorengrenze!“ Auf der anderen Seite, nahe der Straße des 17. Juni, wäre die Gruppe ein gefundenes Fressen gewesen. Aus dem historisch aufbereiteten Gründungsvater der DDR vom Aussichtsturm aus einen fahnenflüchtigen Aufständischen zu machen hätte mit seinem Vorstoß gen Westen auf der Hand gelegen. Im Grußwort des Katalogs zur Ausstellung von Ruthild Hahnes Werk, in dem die letzten Fragmente des Thälmann- Denkmals zu sehen sind, schreibt der Maler Johannes Grützke: „Das Leben bewirkt die Kunst, nicht umgekehrt.“ In Anbetracht Berlins wiedergewonnener Mitte könnte man da die Frage stellen, was dort die städtebaulichen Maßnahmen bewirkt haben. Anstelle Hahnes Denkmal riegelt eine Plattensiedlung Marke Ost mit Ladenzeile West die Wilhelmstraße zum Tiergarten und sich anschließendem Potsdamer Platz ab. Offenbleiben: Schöne Aussichten auf Sony und Daimler-Benz.

Ausstellung bis 19. Dezember: „Ruthild Hahne. Geschichte einer Bildhauerin“. Schadowhaus, Schadowstr. 10–11, 10117 Berlin. Mo–Fr 14–18.30, So 10– 18.30 Uhr