Monate ohne Bewußtsein

Jedes Jahr erleiden in Deutschland rund 50.000 Menschen schwere Hirnverletzungen. Passieren kann das jedem, die Ursachen sind vielfältig: Verkehrs- oder Sportunfall, Tumor, Schlaganfall, Blutung oder Entzündung des Gehirns.

Mindestens 3.000 Betroffene stürzen in tiefe Bewußtlosigkeit – „apallisches Syndrom“ (Wachkoma) lautet dann die medizinische Diagnose. Die PatientInnen scheinen nicht ansprechbar zu sein; doch sie atmen, zeigen körperliche Regungen, können Schmerz empfinden, haben geöffnete Augen, Wach- und Schlafphasen. „Auch im Koma und apallischen Syndrom“, so der Neurochirurg Andreas Zieger vom Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch in Sande/Niedersachsen, „sind Menschen durch ihre lebendigen Körper und Sinne mit der umgebenden Natur und anderen Menschen verbunden.“ „Positive Anregungen“, Berührungen oder Geräusche, könnten „den Patienten animieren, Reaktionen zu zeigen und seinen Lebenswillen zu äußern“, schreibt Zieger in einem von ihm herausgegebenen Ratgeber für Angehörige.

Wie lange ein apallisches Syndrom anhält, wann der Betroffene das Bewußtsein wiedererlangen oder ob er sterben wird – dies kann kein Mediziner verläßlich voraussagen. Es gibt viel Forschungsbedarf, vor allem hinsichtlich Rehabilitation, Diagnose und Krankheitsverlauf.

Der Mediziner Keith Andrews veröffentlichte vor zwei Jahren eine vom British Medical Journal beachtete Koma-Studie, der zufolge 22 von 43 PatientInnen nach Rehabilitation in einer Londoner Spezialklinik entlassen werden konnten. Elf von ihnen waren mindestens vier Monate ohne Bewußtsein gewesen. Der Bundesverband für Schädel-Hirn-Patienten in Not schätzt, daß zwei Drittel der WachkomapatientInnen überleben. Teils werden sie wieder völlig selbständig und berufstätig, teils müssen sie mit Behinderungen leben, manche brauchen auch lebenslange Pflege – exakte Zahlen über die Genesungsprozesse von Wachkomapatienten gibt es nicht.

Um zu verhindern, daß aus dem apallischen Syndrom ein Dauerzustand wird, ist eine neurologische Frührehabilitation vonnöten. Doch im gesamten Bundesgebiet stehen dafür nur rund 700 qualifizierte Behandlungsbetten zur Verfügung. Daß viel mehr gebraucht werden, wissen PolitikerInnen und Krankenkassen längst. 1992 gab das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Expertenschätzung bekannt, wonach etwa 2.270 Frührehabilitationsbetten erforderlich seien.

Selbst wenn Angehörige einen Frührehaplatz gefunden haben, müssen viele von ihnen mühsam kämpfen, bis Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften der Kostenübernahme zustimmen. „Am grünen Tisch oder nach Aktenlage“, kritisiert Neurochirurg Zieger, „wird oft entschieden, daß ein Wachkomapatient ,nicht rehafähig‘ ist.“ Klaus-Peter Görlitzer