Die Bereitschaft zu töten

Sterbehilfe bei Patienten im Wachkoma? Eine Umfrage unter Ärzten weckt Ängste bei Betroffenen. Noch steht Euthanasie unter Strafe  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Dürfen ÄrztInnen Menschen, die im Wachkoma liegen, verhungern lassen? Eine solche Frage sei unvoreingenommen, erforschenswert und diskussionswürdig – findet jedenfalls das Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik. Zwecks Erörterung des Für und Wider lädt Institutsdirektor Ludger Honnefelder am 8. und 9. Dezember ins Bonner Wissenschaftszentrum: Sponsoren der „Europäischen Konferenz“ sind die EU- Kommission, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

Die Tagung sei „eine unerträgliche Provokation gegen die Rechte behinderter und schwerkranker Menschen“, heißt es in einem offenen Brief, den die Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Anke Brunn (SPD), Anfang November erhielt. Das Protestschreiben haben unter anderen der Psychiatrieprofessor Klaus Dörner und die Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtages, Katrin Grüber (Bündnis 90/ Die Grünen), unterschrieben.

Mit ihrer Antwort ließ sich Brunn zwei Wochen Zeit. Am letzten Donnerstag teilte sie den Kritikern mit: „Als Wissenschaftsministerin stelle ich mich gegen Forschungs- und Diskussionsverbote.“ Im übrigen zeige der Tatbestand, daß unter den geladenen Konferenzteilnehmern auch einige Kritiker, Pfleger und Patientenvertreter sind, daß die von der SPD und Bündnisgrünen geschlossene Koalitionsvereinbarung eingehalten werde. Der Vereinbarung zufolge wirkt die Landesregierung darauf hin, daß das aus Landesmitteln mitfinanzierte Bonner Ethik- Institut „verstärkt die Fragen der gesellschaftlichen Gruppen aufgreift und die öffentliche Diskussion darüber fördert“.

Zur Vorbereitung der Konferenz hat das Institut einen umfangreichen Fragebogen verschickt, den das Londoner Zentrum für Medizinrecht und Ethik am „King's College“ entworfen und verfaßt hat. AdressatInnen sind rund 1.200 deutsche MedizinerInnen, die PatientInnen im Wachkoma (apallisches Syndrom) versorgen. Die ÄrztInnen sollen ankreuzen, ob sie es jemals für angemessen halten, einem Wachkoma- patienten die künstliche Ernährung zu entziehen, sprich verhungern zu lassen. Wer zustimmt, soll den geeigneten Zeitpunkt für die tödliche Entfernung der Magensonde nennen. Vier Alternativen gibt der Fragebogen vor: bis zum 3., 6., 12. Monat oder später.

Sodann wird erhoben, welche Faktoren die Entscheidung zur „aktiven Sterbehilfe“ wie stark beeinflussen sollten, zum Beispiel Dauer des Wachkomas, Alter des Patienten oder die Ursache der Hirnverletzung. Und schließlich können die Befragten der Politik Ratschläge geben: Sollte das deutsche Parlament ein Gesetz beschließen, das ÄrztInnen erlaubt, nach Beratung mit Familienangehörigen dem Patienten die künstliche Ernährung zu entziehen? Oder sollte eine solche Entscheidung ausschließlich Privatsache von Angehörigen und ÄrztInnen sein?

„Allein die Fragen sind ungeheuerlich und nicht zu glauben“, empört sich Armin Nentwig, bayerischer SPD-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des rund 2.500 Mitglieder zählenden „Bundesverbandes für Schädel-Hirn- Patienten in Not“. Und die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes an Anke Brunn schreiben: „Die Annahme drängt sich auf, daß hier absichtlich ein erwünschtes Ergebnis mit suggestiven Fragetechniken herbeigeführt werden soll.“

„Da werden wir ernsthaft böse“, betont dagegen Professor Honnefelder, „wenn uns das Verschicken dieses Fragebogens ausgelegt wird als eine Strategie gegen das deutsche Recht oder zur Aufweichung dieser Position.“

Die deutsche Rechtslage ist bisher eindeutig. „Aktive Sterbehilfe“ – etwa durch Nahrungsentzug – gilt hierzulande als Straftat; sie wird als Mord, Totschlag oder Tötung auf Verlangen verfolgt. Bestrebungen zur Legalisierung aktiver Euthanasiemaßnahmen hat der Deutsche Ärztetag wiederholt und entschieden abgelehnt.

Die Koma-Studie wird im Rahmen von „Biomed“ gefördert, dem Forschungsprogramm der Europäischen Union für Biomedizin und Gesundheit; beteiligt sind wissenschaftliche Einrichtungen aus mehreren EU-Staaten. Aus der Bundesrepublik ist neben dem Bonner Ethik-Institut auch das Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht mit dem Komplex beschäftigt. Neben der ÄrztInnen- Befragung schließt die Studie drei internationale Konferenzen ein, Thema sind die unterschiedlichen ethischen und rechtlichen Vorstellungen in Europa.

Tatsächlich haben englische Gerichte in mindestens zwei Fällen Nahrungsentzug bei WachkomapatientInnen für Rechtens befunden. In den Niederlanden sind „ärztliche Tötung auf Verlangen“ und „aktive Sterbehilfe ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten“ unter bestimmten Voraussetzungen straffrei; auf die „Ursache Euthanasie“ gehen inzwischen fast drei Prozent aller Todesfälle im Nachbarland zurück. „Wir müssen uns“, meint Professor Honnefelder, „auf das europäische Gespräch einlassen, wenn wir unsere deutschen ethischen und rechtlichen Überzeugungen ins Spiel bringen wollen.“

Allerdings hat die bisherige Konsenssuche zwecks Formulierung der „Europäischen Bioethik- Konvention“ gezeigt, daß internationale Kompromisse in der Regel dazu neigen, deutsche Rechtsstandards in Frage zu stellen. Honnefelder ist als Gesandter des Bundesforschungsministeriums an der Ausarbeitung der Bioethik-Konvention beteiligt.

Keineswegs, versichert der Philosophieprofessor, bereiteten die Komaforschungen nun eine europäische Richtlinie zur „Sterbehilfe“ vor. Wenn er das sagt, muß man es ihm glauben.

Allerdings sprechen die Auswahlkriterien des Biomed-Programms eine andere Sprache: Sie verlangen die „potentielle Verwertung der Ergebnisse“. Und darüber kann man letztlich nur spekulieren: Abschlußberichte von Biomed-Projekten, in denen die Forscher Absichten und Möglichkeiten zur Umsetzung der Ergebnisse darlegen müssen, werden laut EU-Kommission „vertraulich behandelt“.