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Exilschriftsteller im Visier des FBI

■ Aus Deutschland vertrieben, in Amerika als „Reds“ denunziert und bespitzelt

„Albert Einstein is my name / I was born in Germany / and I'm happy to be / here in the land of the brave and the free.“ So heißt es in einem Lied des Sängers Randy Newman, dem wohl bissigsten Kritiker des American way of life. Mit Zynismus und bitterer Ironie singt er das Hohelied vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

„In the land of the brave and the free“ – nur mit Zynismus kann man das fast 600 Seiten umfassende Buch „Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste“ lesen. Der Autor Alexander Stephan, Literaturprofessor an der Universität von Florida, hat nach mehrjähriger Forschung eine komplexe Studie eines bislang nahezu völlig unbekannten Aspekts des Exils in den USA vorgelegt. Auf der Grundlage der „Freedom of Information and Privacy Acts“ war es ihm möglich, mehr als 50 Dossiers mit weit mehr als 10.000 Dokumenten über deutsche und österreichische Autoren einzusehen, Autoren, denen es gelungen war, der Verfolgung, der Internierung durch die Nationalsozialisten mit der Flucht in die USA oder nach Mexiko zu entkommen.

Lange bevor man sich im Nachkriegseuropa den vertriebenen Exilautoren widmete, machten sich „Exilforscher“ ganzer anderer Art ans Werk: die special agents des FBI. Angetrieben von ihrem Chef J. Edgar Hoover, seiner „Angst“ vor der „roten Gefahr“, gepaart mit dem Eifer, den American way of life gegen alle Fremden zu verteidigen, wurden mit hohem personellen und finanziellen Aufwand umfangreiche Akten und Karteien angelegt. Hier finden sich dann alle, die in New York oder im „Weimar am Pazifik“, in Los Angeles, Rang und Namen hatten: Die Familie Mann (zusammen fast 1.000 Aktenblätter, insbesondere über Klaus Mann), Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Leonhard und Bruno Frank, Oskar Maria Graf, Berthold Viertel, F. C. Weiskopf.

Auch wenn die Akten im Umfang beträchtliche Unterschiede aufweisen, wurde unabhängig vom Bekanntheitsgrad und dem Erfolg im amerikanischen Exil offensichtlich niemand vergessen, nicht Franz Werfel, nicht Erich Maria Remarque, Emil Ludwig, Alfred Döblin. Selbstverständlich beobachtete man sogenannte reds, als Kommunisten eingestufte Autoren wie Hans Marchwitza, Alfred Kantorowicz und Ernst Bloch. Auch eher unpolitische Theaterregisseure, Journalisten und Schriftsteller, in der Terminologie des FBI fellow traveller, wurden ohne ihr Wissen „aktenkundig“: Ferdinand Bruckner, Hans Habe, Carl Zuckmayer. In New York ansässige, kulturelle und politische Exilorganisationen wie das „Council for a Democratic Germany“, das „Exiled Writers Committee“ oder das „Emergency Rescue Committee“ wurden ebenfalls heftig observiert.

Nicht nur die amerikanischen Zentren der deutschsprachigen Exilautoren waren für das FBI von Interesse. Auch was south of the border, in Mexiko, geschah, wurde akribisch überwacht. Aus Angst vor Nazispionen und -saboteuren und weil man mögliche deutsche Angriffs- und Nachschubwege in Südamerika ausspionieren wollte, war das Operationsgebiet des FBI auf die gesamte westliche Hemisphäre ausgedehnt worden. So gerieten auch die pauschal als communazis diffamierten deutschsprachigen Exulanten in Mexiko in das Blickfeld der FBI-Agenten. Umfangreiche, zusammen 2.000 Blatt umfassende Dossiers wurden von Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Anna Seghers und Bodo Uhse angelegt. Diese Deutschen, Kommunisten zudem, die sich über die Zukunft Deutschlands nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur Gedanken machten, waren für Hoover und seine Mannen allesamt ein „rotes Tuch“. Auch ihre Organisationen, die „Bewegung Freies Deutschland“, der „Heinrich Heine Klub“, ihre Aktivitäten, die Zeitschrift Freies Deutschland sowie der bedeutende Exilverlag „El libro libre“ gerieten ins Visier.

Der Blick in die erstmals freigegebenen Dossiers ergeben, wie Alexander Stephan mit Süffisanz bemerkt, „ein bislang unbekanntes Bild von dem Einwandererland Amerika“. Dabei waren es nicht nur die special agents des FBI, die tätig wurden. Für die aus Deutschland vertriebenen Autoren interessierten sich ebenfalls das Office of Strategic Services, der Immigration and Naturalization Service, das Office of Censorship, das Department of State und die „Unamerican Activities Committees“. Die ins Exil gezwungenen, von den Nazis ausgebürgerten Schriftsteller wurden beschattet, ihre Post geöffnet und beschlagnahmt. Neben diesen klassischen Geheimdienstmethoden waren es vor allem anonyme Denunziationen und Berichte von Spitzeln, die zur Eröffnung einer FBI-Akte führten. Richard Nixon zum Beispiel berichtete gerne über Lion Feuchtwanger, und Ronald Reagan machte nie einen Hehl daraus, daß er Schauspielerkollegen für den FBI beäugte.

Neben diesen „Quellen“ bildeten gedruckte Materialien die wichtigste Basis für Informationen über die Exulanten. Oftmals waren es deren eigene Zeitschriftenbeiträge. In den meisten Fällen wurde die Akte erst nach der Einbürgerung des, im FBI-Jargon so genannten, subject geschlossen, oder aber Jahre nach dessen Rückkehr in die alte Heimat oder dessen Tod.

Wenngleich in den freigegebenen Dossiers zahlreiche Schwärzungen vorgenommen wurden, keine Akte vollständig freigegeben wurde (von den 1.000 Blatt über F. C. Weiskopf wuren nur 200 ausgehändigt), liefert die von Alexander Stephan vorgelegte, voluminöse wie faktenreiche Studie zahlreiche, bislang unbekannte Informationen zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen deutschsprachiger Autoren im amerikanischen Exil, ihren politischen Positionen und literarischen Probjekten. Auch die Frage nach dem Selbstverständnis einer der führenden Demokratien dieser Welt stellt sich nach der Lektüre des Buchs neu.

Und die Frage, wie wohl die bundesdeutschen Dossiers von Alfred Andersch, Heinrich Böll, Günter Grass u. a. aussehen mögen? Aber dies ist ja ein ganz anderes Thema. Wilfried Weinke

Alexander Stephan: „Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste“. Metzler Verlag, Stuttgart 1995, 596 S., 68 DM

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