■ Dachzeile: Von Super- und anderen Viren
: Tiefer hängen!

Aids-Viren sind schon seltsame Wesen. Pünktlich zum Welt-Aidstag sind sie wieder da. Und noch gefährlicher als je zuvor. Ein neues „Supervirus“ sorgt für dicke Schlagzeilen. Und schon zittert die Republik. Es könnte mit der „relativen Ruhe“ in Deutschland bald vorbei sein, warnt der Berater der Bundesregierung, Reinhard Kurth.

Relative Ruhe – das ist die schöne Bezeichnung für die nach wie vor schlimme Epidemie unter Strafgefangenen, Drogenabhängigen und Schwulen. Jedes Jahr infizieren sich hierzulande 2.000 Menschen mit dieser tödlichen Krankheit. Das Aids-Trauma liegt wie ein Grabstein über der schwulen Szene: relative Ruhe.

Aids sorgt inzwischen nur noch dann für Schlagzeilen, wenn der heterosexuelle Kleinbürger gefährdet erscheint. Das war schon beim Blutaidsskandal der Fall, als immer wieder auf die „unschuldigen Opfer“ hingewiesen und damit impliziert wurde, es gebe auch schuldige. Jetzt ist es ganz ähnlich. Die Aufregung um das neue Virus macht zugleich den Blick frei für die Ignoranz und Müdigkeit gegenüber dem alten, das nur die Fixer und Schwulen betrifft.

Jetzt also ein neues, für den heterosexuellen Verkehr besonders gefährliches Virus. Wie gefährlich es tatsächlich ist, läßt sich gegenwärtig schwer beurteilen. Erfahrungsgemäß sollte man die Meldungen ein wenig tiefer hängen. Für die Ausbreitung der HIV- Epidemie in Thailand gibt es neben dem hochinfektiösen Supervirus möglicherweise eine andere Erklärung: Thai-Prostituierte arbeiten nur einige Monate, haben dann aber um so mehr Freier. Stecken sie sich in dieser „aktiven“ Zeit an, sind sie extrem infektiös. Der Grund: frisch Infizierte haben ein deutlich höheres Ansteckungspotential.

Allerdings finden sich auch in der seriösen Fachliteratur durchaus Hinweise, die tatsächlich den Schluß nahelegen, der Virustyp E sei gefährlicher. Wenn die Schlagzeilen dazu führen, daß die Sex-Touristen im Bumsbomber nach Bangkog vorsichtiger werden und die Kondomanlegequote auch in heimischen Revieren steigt, dann waren sie zu etwas nutze. Vielleicht können sie sogar das Streichkonzert stoppen, das Gesundheitsminister Seehofer mit den Geldern der Aids-Verhütung veranstaltet. Dann würden womöglich sogar diejenigen profitieren, die hierzulande am heftigsten unter Aids leiden – ganz ohne Supervirus. Manfred Kriener