Transparenz trotz Hörgerät

■ Johannes Brahms' Deutsches Requiem am vergangenen Sonntag in St. Ansgarii/ „Musik von unbeschreiblicher Neuheit“

„Musik von unbeschreiblicher Neuheit“ beschrieb ein Zeitgenosse das 1868 im Bremer Dom uraufgeführte „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms. Auch wenn das Werk im Laufe von 130 Jahren aufmerksamen Konzertbesuchern mehr als vertraut geworden ist, vermittelt sich in jeder guten Interpretation noch immer dieses Gefühl.

So auch jetzt in der von Wolfgang Mielke geleiteten, ausverkauften Aufführung in St. Ansgarii. Die Sorgfältigkeit, mit der dieser Chorleiter die kompositorischen Strukturen nicht nur verfolgt, sondern geradezu akribisch offenlegt, jedes klangliche oder textlich emotionale Klischee vermeidet, ist aus anderen Aufführungen bekannt.

An diesem Abend hatte er mit einem nicht auffindbaren Pfeifton zu kämpfen, der SängerInnen und InstrumentalistInnen zu Recht verwirrte. Später stellte sich heraus, daß es sich um ein Hörgerät handelte. Da aus der Aufführung eine CD werden soll, wurde noch bis Mitternacht nachproduziert.

Man kann nur hoffen, daß die intensive und ungemein angespannte Wiedergabe diesselbe Qualität erreichte. Vielleicht wurde ja auch manches noch besser, denn hinsichtlich der Dynamik blieben im Orchesterpart doch einige Wünsche offen: Brahms' Pianissimoschlüsse kamen des öfteren als Mezzoforte daher und leider paßten sich die Streicher ganz schnell den herausknallenden Bläsern an. Ansonsten war die Orchesterleistung – Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters – sehr gut, beeindruckend die Transparenz der filigranen Sätze.

An Wolfgang Mielkes Zugang fiel besonders auf, daß er strukturell so klar gestaltete, die ohnehin raren Ausbrüche nicht als Effekte aufsetzte, und so eine überzeugende Einheit des auf einem einzigen Thema basierenden Werkes schaffte. Schön wurden die „Tanz“charaktere herausgearbeitet, deren kompositorische Funktion es ist, falsche Sakralität zu vermeiden. Die nuancenreiche und kraftvolle Chorleistung des wahrlich überdimensionalen Werkes überzeugte, lediglich gegen Ende war ein minimaler Substanzverlust festzustellen: Die Erschöpfung war den Choristen durchaus anzumerken.

Die miteinander korrespondierenden Sätze III und IV – Klage des Subjekts und Trost – interpretierten einfühlsam und klangschön Ute Frühhaber und Matthias Gerchen. Das langgezogene „Traurigkeit“ der Sopranistin erfüllte nachhaltig den Raum. Ergänzt wurde der Abend - wegen aufwendiger Orchesterumbauten nicht ganz glücklich - mit der Wiedergabe der Trauermusik von Paul Hindemith – mit einem expressiven Cello solo durch Hans Wilhelm Kufferath – und zwei Geistlichen Gesängen aus dem Spanischen Liederbuch von Hugo Wolf (Ute Frühhaber mit klarem, wenn auch etwas einseitigen Ausdruck).

Ute Schalz-Laurenze