Ein wackliger Pakt

Mittelmeerkonferenz legt Grundstein für engere Beziehungen und läßt viele Fragen offen  ■ Aus Barcelona Alois Berger

Die 29 Stühle am großen, runden Tisch im Hotel Rei Juan Carlos I. waren zurechtgerückt, aber die Außenminister ließen auf sich warten. Stundenlang suchten sie nach Kompromißformeln, die es schließlich allen ermöglichten, das erste umfassende Mittelmeerabkommen zu unterschreiben. Es hakte etwa an der Definition, was die Unterzeichnerstaaten unter Terrorismus verstehen, gegen den sie künftig gemeinsam vorgehen wollen. Die syrische Regierung bestand darauf, daß es in besetzten Gebieten erlaubt sein müsse, sich auch mit Bombenanschlägen zur Wehr zu setzen. Die Hartnäckigkeit richtete sich vor allem gegen Israel, das eine solche Formulierung unter keinen Umständen unterschreiben wollte.

Ein politischer Meilenstein sollte es werden in der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Ländern der südlichen Mittelmeerküste von Marokko bis zur Türkei, ein Abkommen zur Stabilisierung des Mittelmeerraumes. Mit dem Versprechen auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und Finanzhilfen in Höhe von insgesamt fast 18 Milliarden Mark, zur Hälfte geschenkt, zur Hälfte als zinsgünstige Kredite, hat die EU die zwölf Mittelmeeranrainer an den Verhandlungstisch gelockt, an dem es um Zusagen ging, die Menschenrechte einzuhalten und eine pluralistische Demokratie anzustreben. Vor allem, und darauf legten die EU-Außenminister großen Wert, soll das Abkommen auch die Zusammenarbeit der Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens untereinander verbessern. Der Konflikt zwischen Israel und Syrien ist nicht der einzige Nachbarschaftsstreit in der Region, wirtschaflich sind sie so gut wie überhaupt nicht verbunden. Der gegenseitige Austausch macht im Durchschnitt gerade fünf Prozent ihres Außenhandels aus.

Der wirtschaftliche Teil des Abkommens war bereits zuvor in Brüssel weitgehend ausgehandelt worden. Bis zum Jahr 2010 soll eine Freihandelszone mit 800 Millionen Verbrauchern entstehen. Die Außenminister der EU sicherten am Verhandlungstisch sogar zu, auch bei den Agrareinfuhren nachzubessern. Denn landwirtschaftliche Produkte wie auch Textilwaren sind aus der generellen Zusicherung, alle Zölle abzuschaffen, ausgenommen. Zu groß ist die Angst um die Bauern der EU, um Arbeitsplätze, die durch Einfuhren aus Marokko oder Tunesien verlorengehen könnten.

Dabei sind es gerade diese Waren, mit denen die wirtschaftlich schwächeren Länder am südlichen Mittelmeer die Devisen erwirtschaften könnten, um die Industriewaren zu bezahlen, gegen deren Einfuhr sie sich nach Öffnung der Handelsgrenzen nicht mehr wehren können. Um guten Willen zu zeigen, hat die EU deshalb Vorleistungen zugesichert. Sie will ihre Einfuhrschranken für Industriewaren sofort abschaffen, während die Mittelmeerpartner zwölf Jahre Zeit haben, die Zölle abzubauen. Ein großer Teil der Hilfen soll für Projekte verwendet werden, die den Handel in der Region selbst ankurbeln.

Um so verbissener wurde um den politischen Teil des Abkommens gerungen. Dabei waren es entgegen den Erwartungen weniger Konflikte zwischen der EU und den Mittelmeerländern, die im Wege standen. Lediglich die EU- Forderung, daß alle Unterzeichnerstaaten bereit sein müßten, künftig illegal in die EU eingereiste Staatsbürger zurückzunehmen, machte Schwierigkeiten. Sie wurde nur als grundsätzliche Übereinkunft in das Dokument aufgenommen, die Einzelheiten sollen später geregelt werden.

Die größten Meinungsunterschiede bestanden zwischen Israel und den arabischen Ländern. Gelegentlich entstand der Eindruck, daß die EU versehentlich eine Nahost-Konferenz einberufen hatte. Als der israelische Außenminister Ehud Barak sich während der Gespräche unvermittelt an den syrischen Außenminister Faruk asch-Schara wandte und ihn zu Friedensverhandlungen aufforderte, waren zwar alle von dieser emotionalen Geste bewegt, aber die Anwesenden wirkten auch reichlich überfordert. Man könne die Probleme des Nahen Ostens hier nicht lösen, meinte der Konferenzvorsitzende und spanische Außenminister Javier Solana.

Ob bei der Verpflichtung, Terroristen nicht zu unterstützen, oder bei der Zusage, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu akzeptiern – bei allen zentralen Fragen stehen im Abschlußdokument vage Umschreibungen. Der polititische Erfolg des Abkommens besteht deshalb vor allem darin, einen schwierigen und überfälligen Dialog begonnen und den Grundstein für eine regelmäßige Zusammenarbeit gelegt zu haben. Bis zu dem angestrebten Stabilitätspakt ist es noch ein weiter Weg.