Berliner Regierung bildet sich frühstens im Januar

■ Sondierungsgespräche von CDU und SPD leiden an mangelnden Ergebnissen. Der SPD-Parteitag Mitte Dezember wird kaum eine Entscheidung treffen können

Berlin (taz) – Mehr als einen Monat nach der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus scheint die SPD noch immer nicht zu wissen, was sie in der Hauptstadt will: Opposition oder Große Koalition? Die Sondierungsgespräche der Partei mit der CDU sollten ursprünglich am Montag abend ihr Ende finden. Es war an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Doch mehr als fünf Minuten wollten Berlins regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und der SPD-Vorsitzende Detlef Dzembritzki den Journalisten nicht gewähren.

Denn CDU und SPD haben nach gut zehnstündiger Debatte so wenig Konkretes zu bieten, daß allein die „gemeinsam“ getroffene Verabredung für ein weiteres fünftes Gespräch am Freitag schon wie ein Verhandlungserfolg wirken muß.

Am Freitag wollen die Genossen mit der CDU erneut über die dramatische Finanzlage der Stadt reden. Dieses Jahr droht im Haushalt ein Defizit von drei Milliarden, 1996 von vier Milliarden Mark. Mit eigenen Vorschlägen, wie sie ein Zehntel der Ausgaben von 44 Milliarden dauerhaft einsparen wollen, wartet die SPD allerdings nicht auf. Dafür scheint den Sozialdemokraten der Mut zu fehlen.

Die Versuche des SPD-Vorsitzenden, trotzdem Profil zu gewinnen, wirken hilflos und lächerlich. Da will Dzembritzki etwa einen Konflikt bei der Gewerbesteuer ausgemacht haben, die die CDU senken will. CDU-Chef Diepgen kontert darauf schlicht mit Zitaten aus Beschlüssen des SPD-Bundesparteitags in Mannheim von vergangener Woche: Auch die Sozialdemokraten wollten eine „Kostenentlastung der Arbeit“.

Natürlich ahnt der Regierende, daß die bisherige Bilanz ungeeignet ist, um am 15. Dezember eine breite Mehrheit der mehr als 300 SPD-Delegierten von weiteren vier Jahren Großer Koalition zu überzeugen. Um Argumentationshilfe zu leisten, spricht Diepgen von „wichtigen Ergebnissen für die sozialdemokratischen Verhandlungsführer“. Er sehe ausreichende Grundlagen für eine gemeinsame Finanz-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Der SPD-Fraktionschef Klaus Böger hielt es gestern wie Diepgen. Er sprach von vielen Übereinstimmungen. Gemeinsamkeiten gebe es auch in der Verkehrs- und Kulturpolitik sowie in Fragen der Verwaltungsreform. Meinungsunterschiede bestünden dagegen beim beabsichtigten Verkauf von Landesanteilen des Stromerzeugers Bewag.

SPD-Landesschatzmeister Klaus-Uwe Benneter vom linken Parteiflügel sieht das anders. Er kritisierte gestern, daß bisher keine konkreten Vereinbarungen mit der CDU getroffen worden seien. Bei jedem Versuch der Konkretisierung werde auf die angespannte Finanzlage hingewiesen. Benneter bekräftigte seine Forderung, die SPD solle in die Opposition gehen.

In zwei Wochen wollen die Sozialdemokraten auf einem Landesparteitag entscheiden, ob sie trotz der größten Wahlschlappe in der Nachkriegsgeschichte der Berliner SPD die Große Koalition fortsetzen wollen. Grundlage für die Entscheidung sollten die Ergebnisse der Sondierungsgespräche sein. Die Gegner einer Großen Koalition mobilisierten schon vor dem offiziellen Ende der Sondierungsgespräche. Mit einer Anzeige in der SPD-Parteizeitung sorgten sie für Wirbel. Der Titel des Inserats: „Die Neuauflage der Großen Koalition verhindern – die Berliner SPD muß die linke Volkspartei bleiben!“ Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören nicht nur Parteilinke. Unter anderen will auch der ehemalige Innensenator Erich Pätzold, der mit der Räumung besetzter Häuser 1990 das Ende der rot-grünen Regierung einläutete, einen CDU-Minderheitssenat tolerieren.

Die Koalitionsgegner setzen erneut auf Zeitgewinn. Sollte die Partei sich Mitte Dezember nicht für die Oppositionsrolle entscheiden, wollen sie nur Koalitionsgesprächen mit offenem Ausgang zustimmen. Ein endgültiger Beschluß für oder gegen die Große Koalition soll erst nach den Verhandlungen im kommenden Januar fallen. Dirk Wildt