■ Nach dem Friedensabkommen von Dayton haben es viele Politiker ganz eilig mit der Rückführung der Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge haben es nicht so eilig: Sie fürchten eine neue Fremde statt der alten Heimat, Unsicherheit und neuen Krieg
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Nach dem Friedensabkommen von Dayton haben es viele Politiker ganz eilig mit der Rückführung der Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge haben es nicht so eilig: Sie fürchten eine neue Fremde statt der alten Heimat, Unsicherheit und neuen Krieg

Die schwierige Rückkehr nach Bosnien

Angestrengt wie Erstkläßler mühen sich 25 Erwachsene um das kleine Einmaleins der fremden Sprache: „Wohns' du in Berlin?“ „Nein. Ich nix wohne in Berlin.“ Die Antwort kommt prompt, und alle merken, wie falsch und wie richtig sie ist. Natürlich wohnt Fadilla Malagić in Berlin, das sieht jeder – so wie jeder hier weiß, daß sie eigentlich ganz woanders ist. Bosnische Kriegsflüchtlinge lernen für eine Zukunft in Deutschland, die beendet sein könnte, noch bevor sie so recht angekommen sind.

320.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina haben Schutz in Deutschland gefunden. Heimat – dieses Wort hatte bisher für sie einen ambivalenten Klang: angefüllt mit Erinnerung, mit Bitterkeit und Angst – aber auch mit Sehnsucht. Lieber heute als morgen wollten die meisten nach Bosnien zurück, wenn nur erst die Waffen schwiegen. Bei aller Dankbarkeit für das Gastland – je länger der Aufenthalt dauerte, desto stärker sehnte man sich raus aus dem staatlich verordneten Nichtstun in Deutschland, der demütigenden Intimlosigkeit der Sammelunterkünfte, der alkoholischen Selbstnarkotisierung schon am hellichten Tag.

Jetzt jedoch durchzieht sich die Hoffnung der Flüchtlinge mit Skepsis und Verunsicherung. „Nichts, absolut nichts!“ würde sich durch die Unterschrift unter einem Friedensvertrag ändern. Da sind sich die Männer und Frauen, die im Berliner Süd-Ost-Kultur- Zentrum für ihre ersten Brocken Deutsch die Schulbank drücken, ganz sicher. Was sollte sich auch ändern für Fadilla Malagić? Ihr Heimatort, nur zehn Kilometer von Sebrenica entfernt, wird zum serbischen Teil Bosniens gehören. Und mit den Menschen, die ihren Mann in ein Lager steckten und ihn schließlich erschossen, mit denen will Fadilla Malagić nicht mehr Tür an Tür leben. Keine Frage: Wo ihr Haus steht, dorthin kann sie nicht zurück. Aber wohin sonst? „In Bosnien ist kein Leben und keine Liebe mehr“, meint ihr Tischnachbar. Jetzt will er nur noch eins: „Meiner Familie ein zivilisiertes Leben ermöglichen in Deutschland. In Bosnien kann in fünf oder zehn Jahren wieder Krieg sein. Ich möchte nicht, daß mein Sohn je eine Waffe trägt.“

Selbst wenn er an einen Frieden glauben würde, wohin könnte ein Mijo Grgić zurück? So wie Hunderttausende Bosnier lebt er in einer bi-ethnischen Ehe: Er ist Kroate, seine Frau Serbin, und beide sind sie Bosnier. „Wir sind nicht nur von anderen okkupiert worden“, gibt er zu bedenken, „ein Teil von uns hat sich zum Haß verleiten lassen. Und diesen Haß kann kein Friedensvertrag auslöschen – die Angst vor dem Haß des Nachbarn, des Ehepartners, des Bruders.“ Der Agrarökonom weiß auch um eine andere Angst, von der die Flüchtlinge nicht gerne sprechen: die Angst, bei der Rückkehr als Verräter zu gelten, als diejenigen, die in Deutschland Wohnung und Essen hatten, während die Zurückgebliebenen hungern und frieren mußten.

„Frieden?“ der 65jährige Professor aus Sarajevo, der seinen Namen nicht genannt wissen möchte, hat für dieses Wort nur ein bitteres Lachen. „Das ist nichts anderes als ein Deckel auf kochendem Wasser. Man wartet auf die Explosion.“

Seit drei Jahren lebt der Wissenschaftler in Deutschland, eine Zukunft jenseits der Sozialhilfe hat seine Familie hier kaum. „Aber in Sarajevo müßten wir auch ganz von vorne anfangen, dann lieber hier, wo es Hoffnung und Sicherheit gibt und man unsere Kinder nicht Bastards nennt.“

„Zumindest diejenigen, die in befriedete Heimatorte zurückkönnen, denken über eine Rückkehr nach“, glaubt Mustafa Aljević vom bosnischen Kulturverein „Gelbe Lilien“.

Aber für Zigtausende kann das Zurück nur ein Anderswo sein. Eine Umfrage in den Flüchtlingsheimen des Landes Brandenburg ergibt: Ein knappes Drittel der Flüchtlinge wäre bereit, in einen anderen Teil Bosniens zu ziehen, vorausgesetzt, sie müßten dort nicht mit Serben zusammenleben. 51 Prozent der Befragten jedoch können sich eine Rückkehr nur als Rückkehr ins eigene Haus vorstellen. In anderen Regionen Bosniens von vorne anzufangen, Flüchtling im eigenen Land zu sein – dieses Schicksal scheint gerade für die Jüngeren noch schwerer verkraftbar zu sein als das Flüchtlingsdasein in der Fremde. Doch man wird ihnen nicht die Wahl lassen, wo sie ihre Zukunft aufbauen wollen. Schon auf der Innenministerkonferenz im Dezember will Bayerns Innenminister Beckstein das Thema „Rückführung nach Bosnien“ auf der Tagesordnung sehen. Im März läuft der Abschiebestopp für Bosnien aus, und es wird nur eine Frage der Schamfrist sein, um wie viele Monate man ihn verlängert. UNO-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata mahnt deshalb, eine Rückkehr der Flüchtlinge sei nur in „organisierter, zeitlich abgestufter Weise“ denkbar. Oberstes Gebot müßte die Freiwilligkeit sein. Ogata plädiert für einen Zeitplan, der eine Rückkehr der Flüchtlinge aus den westeuropäischen Zufluchtsstaaten erst in der letzten, dritten Phase ins Auge faßt.

Doch diese Vorschläge können die politisch Verantwortlichen weder binden noch an vorschnellen bilateralen Rückkehrabkommen hindern: Schon heute drängen die bosnischen Konsulate vor allem Ärzte, Krankenschwestern und technische Fachkräfte massiv zur Rückkehr ins „Vaterland“. Und die Bundesregierung ihrerseits möchte das Problem Kriegsflüchtlinge und den leidigen Bund-Länder-Streit, wer finanziell für sie aufkommen soll, so rasch wie möglich vom Tisch haben.

Ein erzwungene Rückkehr würde auch eine konkrete Chance für den Wiederaufbau verspielen: Mit geringer finanzieller Unterstützung und unbürokratischer Hilfe könnte die Bundesrepublik den Flüchtlingen wertvolles Kapital mitgeben – durch berufliche Qualifizierung und gezielte Vorbereitung auf überschaubare Projekte im Wohnungsbau etwa oder für Existenzgründungen. Diese Möglichkeit haben Bund und Länder bisher sträflich ungenutzt gelassen – und durch kurzsichtige, bürokratische Arbeitsverbote sogar verhindert. Vera Gaserow