Kästner im sächsischen World Trade Center

■ Die Berliner Theaterfamilie Wölffer baut in Dresden ein neues Theater

Der neue Supermarkt hat vor drei Stunden erst eröffnet, Pizza gibt's deshalb umsonst, und gegenüber, an der Gulaschkanone, kostet der Teller Suppe nur zwei Mark. Auch die Milchreisfirma hat „heute Verkostung“, wie ein großes Schild den Weihnachtsknusperjoghurt anpreist – und gleich daneben wird lautstark gehämmert und gebohrt: Drei Minuten vom Dresdner Hauptbahnhof und sechs vom Zwinger entfernt werkeln Dutzende von Bauarbeitern an der Entstehung der „Komödie Dresden“. Doch bisher ist da, wo ab 6. September 1996 Neil Simon und Curt Goetz, Erich Kästner und Peter Shaffer gespielt werden sollen, nur ein großes, graues Loch.

Neben den beiden Berliner Theatern am Kurfürstendamm und dem Komödientheater Winterhuder Fährhaus in Hamburg schaffen sich die Brüder Jürgen und Christian Wölffer in der Elbmetropole nun ein viertes Standbein – wenngleich außer Bauplänen und Skizzen jetzt noch nichts davon zu sehen ist. „Ein Investor ist an uns herangetreten und hat gefragt: ,Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen in Dresden ein Theater hinstelle?‘“, erzählt Jürgen Wölffer beim Ortstermin. Der Hamburger Bauherr und Investor, die Büll, Liedtke & Hellberg GmbH, stampft in Dresden nämlich ein „World Trade Center“ aus dem schlammigen Boden: ein Häuserpark aus 64.000 Quadratmeter Bürofläche, einem Hotel mit 240 Zimmern, einem Konferenz- und Sportzentrum, einem guten Dutzend Geschäften – und eben einem Theater. Etwa sechs Millionen Mark investiert die Hamburger GmbH in die Komödie, die rund 650 Plätze haben soll.

In die Planung für Dresden hat Jürgen Wölffer auch seinen Sohn Martin miteinbezogen: „Zum ersten Mal wird der Sohn Kompagnon sein und in die Gesellschaft einsteigen“, verkündete der sichtlich stolze Vater. Der 32jährige Martin leitete von 1990 bis 1994 in Berlin das „Magazin“-Theater, führt dort Ionesco und Beckett auf, entschloß sich aber Ende 1993, seine Spielstätte zu schließen und als Stellvertreter des Vaters in der „Direktion Wölffer“ zu arbeiten.

Ihre neue Komödie bekommt die Berliner Theaterdynastie im nächsten Jahr schlüsselfertig übergeben – und muß sogar in den ersten sechs Monaten keine Miete zahlen. Danach, so Jürgen Wölffer, werde die Monatsmiete acht Prozent vom Umsatz betragen, mindestens aber 45.000 und höchstens 75.000 Mark, ohne Nebenkosten. Die Eintrittspreise? Für Berliner Verhältnisse moderat, für Dresden ganz schön happig: Etwa 35 Mark soll der teuerste Platz kosten.

Doch die Wölffers sind optimistisch: „Mit unserer Komödie führen wir eine alte sächsische Tradition fort“, sagt Jürgen Wölffer. Schon unter August dem Starken habe es ein kleines Komödienhaus gegeben, bis 1945 schließlich die Komödie in der Prager Straße.

Im Augenblick werde das Unterhaltungstheater in Dresden eher stiefmütterlich behandelt: In den staatlichen Theatern stehe das Unterhaltungstheater nicht auf dem Spielplan. Mit einer Ausnahme: Das Staatsschaupiel habe Ray Cooneys Klamotte „Außer Kontrolle“ im Programm. Aber das allein ist für die Wölffers natürlich keine Konkurrenz. Margot Weber