Täter im schuldfreien Raum

„Schmidt Deutschland Der Rosa Riese“ – In Luckenwalde hat das BE-Tourneetheater ein Stück von Anna Langhoff über den Beelitzer Frauenmörder Wolfgang Schmidt uraufgeführt  ■ Von Petra Kohse

Das Stadttheater Luckenwalde ist ein Schmuckstück. Von außen trostlos sandbraun, offenbart sich innen die lustvolle Sachlichkeit eines Bauhaus-Gebäudes um so gepflegter. Doch einen regulären Spielbetrieb gibt es nicht, das Haus wird nur wenige Male im Monat genutzt. Am letzten Wochenende stand die Uraufführung von Anna Langhoffs „Schmidt Deutschland Der Rosa Riese“ auf dem Programm, ein Gastspiel der Tourneetheatertruppe des Berliner Ensembles.

„Der Rosa Riese“ – so nannte Bild den jungen Wolfgang Schmidt aus einem Dorf bei Beelitz, der zwischen Oktober 1989 und April 1991 fünf Frauen und ein Baby umgebracht hat. Das Stück zum Fall ist eine Auftragsarbeit von Heiner Müller, das Thema paßt zum BE- Tourneetheater wie maßgeschneidert. Denn das Ensemble tourt durchs Brandenburgische und versucht auch, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.

Die Mordserie müßte in den Waldsiedlungen bei Potsdam noch gut im Gedächtnis sein: Der Umstand, daß an den Tatorten Frauenwäsche zu finden war, wurde von Boulevardblättern reichlich ausgeweidet, Fahndungsplakate hingen zuletzt überall, Panik grassierte. Doch die Reißergeschichte vom fäkalfetischistischen Mörder in Frauenkleidern, der über seinen Opfern onanierte, gibt für „Schmidt Deutschland Der Rosa Riese“ nur den Hintergrund ab.

Langhoff will im sensationell Pathologischen offenbar etwas Allgemeines zeigen, denn obwohl Schmidts erster Mord bereits vor dem Mauerfall stattgefunden hat, tendiert das Stück zum Motiv „soziale Entwurzelung“. „Schmidt: der Westen. Osten... Scheiße, nichts als Lügen! / das alles war nie wirklich, ist so schnell / verschwunden wie die Luft aus meinem Ballon / zisch, weg, ein ganzes Land, und meine Welt / die Kindheit, oder alles, was ich glaubte / und schlimmer noch: woran ich nicht geglaubt / auch das, die Hälfte. Trugbild, heiße Luft.“

Das klingt nun reichlich verschwiemelt, und damit wäre das größte Problem dieses Stückes bereits benannt. Mit geradezu expressionistischem „O Mensch“- Pathos in Versen verdeckt Langhoff nur mühsam, daß sie sich weder für eine psychologische Studie noch für eine kühle Ereignisdramaturgie entscheiden konnte.

Sie konfrontiert Schmidt mit drei ehemaligen Pionieren, die sich jetzt als Neonazis gefallen, zeigt ihn einsam im Kreise seiner Familie, leidend mit seiner schwangeren Verlobten, getrieben auf einer Müllkippe Frauenwäsche suchend und später als Gefangenen. Das Pionier/Neonazi-Kollektiv tritt auch als schlagzeilendreschender Chor der Journalisten auf, die Verlobte wird (wie im wirklichen Leben) zur Abtreibung gedrängt, und am Ende gibt es eine christliche Heilsbotschaft: „Wenn ein Freund dich sticht / verzeih ihm und versteh: / es ist ihm selbst nicht wohl / sonst tät er dir nicht weh.“

Da Anna Langhoff selbst Regie führte, gewinnt der Szenensampler auch auf der Bühne keine festeren Konturen. Die Dreißigjährige, die bisher als Autorin des sozialen Kammerspiels „Gedeckte Tische“ im Deutschen Theater und als Regisseurin eines mystischen „Golem“ in der Volksbühne in Erscheinung getreten ist, versucht sich jetzt etwas unentschieden als Konzeptregisseurin. Die skandierend-stampfende Chorführung offenbart Anleihen bei Einar Schleef – eine Ästhetik, die von Christoph Müller, Michaela Schmidt und Jens Wachholz als Ex-Pionieren zwar gut erfüllt wird, den mit zarter Innerlichkeit agierenden Schmidt- Darsteller Christian Suhr jedoch von Anfang an zu Boden drückt. Und da kriecht er dann herum, im Weihnachtsbäumchenwald und auf dem mit Wäschestücken bedeckten märkischen Sand (Bühne: Alexander Wolf), pusselt an aufziehbarem Blechspielzeug herum, winselt vor sich hin und balanciert am Ende in bester Schultheatermanier am Bühnenrand (Gratwanderung!). Der psychopathologische Fall Schmidt wird hier zu einer Parabel auf den Ostmenschen vertheatert, deren Moral zufolge die soziale Opferrolle eine Frage nach persönlicher Schuld von vornherein ausschließt. Die Welt ist schlimm, das Leben ist schlimmer – wie hierüber diskutiert werden könnte, muß einem ein Rätsel bleiben. Zur rein emotionalen Sicht paßt indes, daß Bild je zwei Bus-Shuttles von Berlin zu den Aufführungsorten sponsert.

Aufführungstermine und Informationen unter Telefon 2888-157