Die Kunst des Verrates

Der geplante Umzug des Football-Teams der Cleveland Browns nach Baltimore sorgt für Entsetzen im Staate Ohio und für Jubel in Maryland  ■ Von Andreas Lampert

Vor neun Jahren sah ich in Frankfurt mein erstes NFL-Spiel. Mit Bindfäden versuchte ich, eine Zimmerantenne an der Decke zu befestigen, um den amerikanischen Soldatensender AFN auf die Mattscheibe zu bekommen. Ein schwarzweißes Bild erschien, auf dem schwach die Konturen eines Footballspiels auszumachen waren. Auf dem Feld standen sich die Cleveland Browns und die New York Jets gegenüber, und das packende Spiel endete nach zweifacher Verlängerung durch ein field goal eines barfüßigen (!!) Kickers auf gefrorenem Boden. Seit diesem Spiel mochte ich die Browns und begann mich für American Football zu interessieren.

Entsprechendes Entsetzen löste die Nachricht aus, daß die Cleveland Browns kommende Saison wohl nach Baltimore umziehen werden. Art Modell (70), seit 34 Jahren Besitzer der Browns, kam zu der Überzeugung, daß die Neustrukturierung in einer anderen Umgebung die einzige zukunftsträchtige Möglichkeit für sein Footballteam ist. Dieser Schritt verwundert, denn die Browns sind seit 50 Jahren eine Institution in Cleveland/Ohio, haben mit dem berüchtigten „dawg pound“ (eine furchterregende, als Hunde verkleidete Meute in einer Ecke des Stadions) so etwas wie eine originäre Fankultur, und ihr Zuschauerschnitt von 70.407 pro Spiel ist der viertbeste in der Liga. Da die NFL die Fernseh- und Vermarktungsgelder brüderlich auf die einzelnen Teams verteilt, könnte man annehmen, daß genügend Geld vorhanden sein müßte. Irrtum.

Im American Football reicht es nicht mehr aus, über Tradition, ein volles Stadion und ein großes Einzugsgebiet zu verfügen. Deshalb gibt es in einer Riesenstadt wie Los Angeles, die zuletzt zwei Mannschaften beherbergte, mit einem Schlag überhaupt kein Football mehr zu sehen. Die Raiders wanderten nach Oakland ab, die Rams nach St. Louis. Neben Cleveland drohen sieben weitere der dreißig Mannschaften mit Umzugsplänen. Die Houston Oilers werden wohl nach Nashville ziehen, aber auch in Arizona, Tampa, Cincinnati, Seattle und selbst in Hochburgen wie Chicago und Detroit zittern die Footballfans um den Verbleib ihrer Teams.

Neuerdings wird nämlich eine ganz neue Einnahmequelle immer wichtiger. Die Frage ist: Wieviel Geld hole ich aus dem Stadion heraus? In diesem Punkt scheiterte Art Modell, für den sein Footballteam das Einkommen ist („Ich habe keine Bohrinseln oder Einkaufszentren!“). Clevelands ehrwürdiges Municipal Stadium am Eriesee ist hoffnungslos überaltert, deshalb gehören die Browns zu den Bettelbrüdern der Liga.

Der Grund der immer größer werdenden Kluft zwischen den reichen Organisationen der Liga (Dallas, Miami) und den „Armenhäusern“ ist ein Umstand, der vor zwei Jahren noch als die Lösung aller Probleme angesehen wurde. Damals wurde nach einem Arbeitskampf zwischen Spielergewerkschaft und Besitzern festgelegt, daß jedes Team mit dem gleichen Betrag für die Spielergehälter auskommen muß, um die Chancengleichheit untereinander zu bewahren. Der Wert wurde auf einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen aus Zuschauerzahlen und Fernsehgeldern, die innerhalb der NFL gleichermaßen geteilt werden, festgelegt.

Dennoch fanden Besitzer wie Jerry Jones von den Dallas Cowboys schnell einen Weg, dieses Hindernis zu umschiffen. Mit einem Bonus bei der Vertragsunterschrift lockte er die besten Spieler zu seinen Cowboys. Deion Sanders erhielt für sein Autogramm bei einem relativ überschaubaren Grundgehalt einen Zuschlag von 13 Millionen Dollar und verstärkt die ohnehin schon unschlagbar erscheinende Troika aus Quarterback Troy Aikman, Running Back Emmett Smith und Wide Receiver Michael Irwin. Das Geld holte sich Jones von privaten Sponsoren, die er in großzügig ausgestatteten Luxussuiten in seinem Stadion unterbringen kann.

Derzeit bereitet der Cowboys- Besitzer einen weiteren Rundumschlag gegen die NFL vor: er will die Liga auf 750 Millionen Dollar Schadenersatz verklagen, sollten die Rechte der Cowboys auf eigene Vermarktung eingeschränkt werden.

Dem pekuniären Aufgalopp von Jones konnten andere Eigner wie Art Modell zuletzt nur hinterhertraben. Ohne signing bonus war kein guter Spieler mehr an den Eriesee zu locken. Entsprechend häuften sich die Niederlagen. „Wie kann man die Browns daran hindern, nach Baltimore zu gehen?“ lautet die Frage in einem Witz, der in Ohio kursiert. Antwort: „Einfach eine goal line um Cleveland ziehen. Jeder weiß, daß die Browns unfähig sind, eine solche zu überqueren.“ Von der Stadt erhoffte sich Art Modell vergeblich Unterstützung. Die war mit der Finanzierung eines neuen Baseballstadions für die Indians, einer neuen Basketballhalle für die Cavaliers und dem Gebäude der Rock and Roll Hall of Fame beschäftigt. Nichtsdestotrotz versucht sie derzeit, den Umzug mit juristischen Mitteln zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

In Baltimore ist die Wiederbelebung der alten und ruhmreichen Baltimore Colts ein langgehegter Traum, der sogar schon den Stoff für einen Martha-Grimes-Krimi lieferte („Fremde Federn“). Mit dem Staate Maryland im Hintergrund bietet die Stadt dem Browns-Besitzer 75 Millionen Dollar Umzugskosten, ein neues Trainingsgelände und ein Stadion mit 108 Luxussuiten. Für einen Geschäftsmann wie Art Modell fiel bei einem solchen Angebot die Entscheidung nicht allzu schwer. Trotz aller Tradition, die Cleveland mit den Browns verbindet.

Die Loyalität der Fans hat seither schwer gelitten. Bei den letzten Spielen im Municipal Stadium wurden häufig die gegnerischen Teams bejubelt. „Wir haben keinen Heimvorteil“, sagte Receiver Andre Rison darob verbittert, „unser Heim ist in Baltimore.“ Art Modell hat sich vorsichtshalber gar nicht mehr blicken lassen, sondern es vorgezogen, in seinem Haus in Florida zu verweilen. Dies brachte die Anhänger besonders auf die Palme. „Wo ist der Feigling?“, hieß es auf Transparenten, andere Plakate verliehen dem Zorn auf etwas raffiniertere Weise Ausdruck und geißelten „The Art of Betrayal“.