■ Das zivile Europa ist jetzt in Bosnien gefordert
: Intervenieren!

Mehr denn je ist jetzt, nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens, die Intervention gefordert: die zivile Intervention, versteht sich.

Bei aller Erleichterung darüber, daß in Dayton, Ohio, ein Ergebnis erzielt wurde, treiben einem doch die kleingedruckten Folgenachrichten den Zorn ins Blut: Eine der ersten Maßnahmen, die der Sicherheitsrat beschließen will, ist die Aufhebung des Waffenembargos für ganz Exjugoslawien. Ist man sich über diese Ungeheuerlichkeit im klaren? Gibt es da nicht einen Aufschrei der Empörung gegen diese staatsmännische Leistung der Konfliktlösungsdiplomatie? Da lassen militärisch organisierte Polit-Berufsverbrecher zwecks Durchsetzung ideologischer Bandeninteressen und eigener Karrieren für zukünftige Geschichtsbücher eine Viertelmillion Menschen abschlachten und Millionen in Elend und Heimatlosigkeit treiben, und die „internationale Gemeinschaft“ hat, kaum scheint die Sache endlich zum Stillstand gekommen, nichts Eiligeres zu tun, als den legalen und halblegalen Waffenproduzenten und -handelsprofiteuren die Schleusen zu öffnen. Als Ergebnis werden sich die soeben mühsam genug getrennten Kriegsparteien nun erneut recht fett saugen können mit Waffen zur „Verteidigung“ ihrer blutig gewonnenen oder erhaltenen Kontrolle über territorial und völkisch definierte Menschen und Ressourcen. So sieht der „Frieden“ aus, wie ihn sich die Staatskunst vorstellt – und da ist es natürlich nur logisch, daß wiederum internationales Militär allein einen solchen „Frieden“ garantieren kann; Profis verstehen einander. Unsere Bundesregierung wird mit ihren Soldaten dabeisein – das wollte sie ja immer schon: Flagge zeigen, nur keine Sonderrolle alternativer Friedenspolitik, dazugehören zum Kartell der Machtpolitiker. Von wem stammte doch noch das zynische Wort, die Macht komme aus den Gewehrläufen?

Die große Gefahr besteht, daß wir aufatmend zu anderen Punkten der „Tagesordnung“, übergehen. Dabei wird es eigentlich jetzt endlich und wirklich ernst: Wahlen soll es geben, unter internationaler Kontrolle. Aber eine solche technische Kontrolle kann nicht genügen. Thomas Schmid hat recht, wenn er von der „Hoffnung“ spricht „auf einen Sturz des faschistoiden Regimes des bosnischen Serbenführers Karadžić“. Nur eine wirkliche Mobilisierung der seit Jahren eingeschüchterten, entmündigten, sprachlos gemachten Menschen – wir dürfen und müssen hoffen, daß das die „schweigende Mehrheit“ ist – für ein Bosnien des Zusammenlebens und der Selbstbefreiung von ihren Ethnofaschisten und Macho-Militärbanden durch das demokratische Mittel der Wahl hat die bescheidene Chance der Wiedergewinnung von Frieden und Zivilität: nicht die Aufteilung in bewaffnete Lager unter internationaler Militärkontrolle. Und eine solche Selbstreinigung mit dem aktiven Beistand des zivilen Europas darf nicht an den Grenzen Bosniens haltmachen: In Kroatien und „Jugoslawien“, d.h. Serbien mit dem Trabanten Montenegro, sind schließlich dieselben Kriegsverbrecher an der Macht und sichern sich diese ab durch offene und subtile Formen der Unterdrückung des demokratischen Potentials ihrer Bevölkerungen. Wie stark dieses dennoch ist, haben die kürzlichen Wahlen in Kroatien gezeigt. In einem wahrhaft innerlich freien Serbien, in dem die ganze Wahrheit der zynischen Politik seiner Regierung öffentlich gemacht würde, dürften die Tage des Kriegsverbrechers Milošević gezählt sein – wenn wir in diesem Sinne intervenieren.

Denn die Demokratie, emphatisch gesprochen, ist die Achillesferse aller dieser ethnischen Kriegsherren. Und Demokratie heißt in diesem Falle die Herstellung von echter Öffentlichkeit, von Meinungs- und Medienfreiheit, heißt denen, die vor diesem Krieg, warnten und die sich in all diesen Jahren verzweifelt gegen die rassistische Propaganda des ethnischen Auseinanderdividierens der Menschen stemmten, ohne gehört werden zu können, weil sie keinen Zugang zu den regierungskontrollierten Medien hatten, heißt diesen Menschen die Chance geben, das republikanische Credo politischer Zivilität zu artikulieren. Und das eben auch in Serbien und Kroatien, ohne deswegen Montenegro und Slowenien zu vergessen. Diese bisher vom Kriegsgeschrei ihrer selbsternannten und pseudodemokratisch legitimierten Führer und deren Organisationen zum Schweigen verurteilten Stimmen der Vernunft bedürfen unserer massiven Unterstützung, unserer Intervention. Wenn schon das politische Europa diplomatisch so fatal versagt hat und es der fernen USA bedurfte, um diesen, wenn man so will „europäischsten aller europäischen Konflikte“, diese nur auf diesem Kontinent erzeugte Pathologie einer völkischen Reinheit des Blutes in ihrem Amoklauf aufzuhalten, dann sollte dies wenigstens die Chance des zivilen Europas sein: Intervention zugunsten republikanischer Gesinnung und Gesittung.

Das ist eine alles andere als abstrakte Formel. Es heißt materielle, organisatorische Unterstützung für alle erwiesenermaßen kriegsgegnerischen Kräfte in allen exjugoslawischen Staaten und Regionen, heißt Durchsetzung des Zugangs zu Rundfunk und Fernsehen für diese Gruppen und Parteien, heißt Finanzierung von Zeitungen und allen anderen Printmedien, die explizit auf den inter-ethnischen Dialog verpflichtet sind, heißt Ausstattung der Friedensbewegungen mit Medientechnologien, heißt auch, um's deutlich zu sagen, offene Wahlkampffinanzierung für die Gegner von Karadžić, Milošević, Tudjman & Co. – wobei auch die Figur des muslimischen Präsidenten Izetbegović problematisch ist, wenn man den Rücktritt des einem explizit ethnisch-religiös neutralen Staat Bosnien verpflichteten Außenministers als Indiz für eine höchst fatale Moslemisierung seines Staatsteiles interpretiert.

Eine solche von den Kriegsverbrechern aller Fraktionen sich befreiende Dynamik des Friedensprozesses erscheint heute möglich und begründet eine reale Hoffnung. Aber sie entwickelt sich nicht nur allein von innen, sondern bedarf auch der Hilfe von außen – von den deutschen Interventionisten beispielsweise. Hier eine nicht militärische, demokratisch-republikanische Sonderrolle zu spielen, würde der deutschen Außenpolitik, die soviel mitverschuldet hat an diesem Krieg, zur Ehre gereichen. Und wenn schon Kinkel & Co. dafür nicht zu gewinnen sein werden, dann wäre es die Aufgabe der bündnisgrünen Opposition, ihre ja nicht unbeträchtlichen materiellen und politischen Ressourcen für ein solches Interventionsprojekt zu mobilisieren. Die aktive Unterstützung so vieler Idealisten aus so vielen Initiativen dürfte ihnen dabei sicher sein. Ekkehart Krippendorff