„An der Schwelle der Normalisierung“

Oskar Lafontaine und Gregor Gysi sprachen über das Verhältnis ihrer Parteien von der Zwangsvereinigung 1945 bis zu künftigen Absprachen – CDU und FDP schäumten  ■ Aus Bonn Karin Nink

Das Treffen kam überraschend, die Reaktionen darauf waren erwartungsgemäß heftig. „Es darf nicht zur Normalität werden, daß Demokraten mit Radikalen gemeinsame Sache machen“, empörte sich CDU-Generalsekretär Peter Hintze gestern. Am Abend zuvor hatten sich der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine und der PDS-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zu ihrem seit längerem verabredeten und zwischenzeitlich verschobenen Tête-á-tête getroffen. Hintze befürchtet nun „eine Beifallsgemeinschaft von PDS und SPD im Bundestag“. Die PDS solle mit Hilfe der SPD „demokratisch geadelt werden“, schimpfte er. Und verschwieg, daß sich auch sein Fraktionschef Wolfgang Schäuble schon früher mit Gregor Gysi und Lothar Bisky getroffen hatte.

Ein Abdriften der SPD ins linke Spektrum fürchtet gar der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Rupert Scholz. Auch für den FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ist die SPD „auf dem Weg nach links“. Es gehe ihr „um neue Mehrheiten mit der PDS“. Nicht die Gespräche seien das Problem, sondern deren Ziel.

Während man sich in der Koalition künstlich echauffierte, sprach Lafontaine nach der einstündigen Begegnung von einem „normalen Treffen“, dem er keine besondere Bedeutung beimesse. Der SPD- Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping teilt diese Einschätzung. Es gehe darum, der PDS Wähler wegzunehmen und den Menschen zu zeigen, daß die SPD besser für soziale Demokratie eintrete. Unter Hinweis auf das Gespräch von Schäuble mit Gysi und Bisky sprach Scharping von einer „heuchlerischen Debatte der Union“. Auch er sei zu einem Treffen mit der PDS bereit, „wenn die Situation im Bundestag das nahelegt“. Eine „Koalition in der Opposition“ zwischen PDS und SPD lehnt er aber ab.

Für Absprachen innerhalb der Bundestagsopposition hat sich Gregor Gysi im Gespräch mit Oskar Lafontaine eingesetzt. „Gysi machte deutlich, daß er sich einen normalen Umgang zum Beispiel durch Absprachen oder Vorgespräche wünscht“, sagte der Sprecher der PDS-Bundestagsgruppe, Jürgen Reents. Gysi rechnet damit, daß sich das Verhältnis zwischen SPD und PDS bessert: „Ich denke, wir stehen an der Schwelle der Normalisierung.“

Die SPD-Sprecherin Dagmar Wiebusch betonte, das Gespräch zwischen Gysi und Lafontaine, an dem auch SPD-Fraktionsvize Wolfgang Thierse teilgenommen hatte, sei „durchaus kontrovers“ gewesen. Es sei über „das Verhältnis der PDS zu ihrer SED-Vergangenheit und zu den Opfern der SED-Herrschaft, die Zwangsvereinigung von KPD und SPD vor 50 Jahren, die Geschichte des Verhältnisses von SED und Blockparteien, die innere Situation der PDS sowie die wirtschaftliche und soziale Situation in Ostdeutschland“ gesprochen worden.

Der PDS-Sprecher Reents berichtete, Lafontaine und Gysi hätten „nicht präzise programmatisch diskutiert“. Vielmehr sei das ein erstes Gespräch zum „genaueren Kennenlernen und Einschätzen“ gewesen. Er geht davon aus, daß weitere Gespräche zwischen Gysi und Lafontaine folgen, aber „konkrete Vereinbarungen gibt es nicht“.