Europa ist mit den Putzfrauen

■ Das Sozialgericht Hannover verhilft einer kurzzeitig beschäftigten Putzfrau zu Arbeitslosengeld. Das Arbeitsförderungsgesetz diskriminiert einseitig Frauen und verstößt damit gegen europäisches Recht

Hannover (taz) – Frauenfreundlicheres europäisches Recht macht es möglich: Frauen mit Nebenjobs ohne Sozialversicherung können trotzdem auf Rente beziehungsweise Arbeitslosengeld hoffen. Eine Putzfrau, die in Hannover weniger als 15 Stunden die Woche als sogenannte kurzfristig Beschäftigte gearbeitet hatte, erhält jetzt Arbeitslosengeld. Das bundesdeutsche Arbeitsförderungsgesetz, das diese Menschen aus der Arbeitslosenversicherung ausschließt, verstößt gegen geltendes EU-Recht, entschied jetzt das Sozialgericht Hannover. Da vor allem Frauen in Arbeitsverhältnissen ohne Versicherungsschutz tätig sind, stehe das Arbeitsförderungsgesetz im Widerspruch zu einer schon seit 17 Jahren geltenden EU-Gleichbehandlungsrichtlinie. Diese Richtlinie verbietet auch die mittelbare Diskriminierung von Frauen, teilte der Sprecher der niedersächsischen Sozialgerichte gestern mit. Daran ändert auch nichts, daß die Bundesrepublik die EU-Richtlinie bis heute noch nicht in nationales Recht umgesetzt hat, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet wäre.

Das hannoversche Arbeitsamt, das der zuvor 530 Mark monatlich verdienenden Frau jetzt zumindest ein geringes Arbeitslosengeld zahlen muß, hat zwar Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Doch auch in den weiteren Instanzen stehen die Chancen der 36jährigen Putzfrau nicht schlecht.

Vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wird derzeit über einen ähnlich gelagerten Fall verhandelt, der auf ein Verfahren desselben Sozialgerichts zurückgeht. Dabei streitet eine geringfügig beschäftigte Frau um ihre Rente. In einer Beurteilung hat der Generalanwalt – ein neutraler Vertreter vor dem Europäischen Gerichtshof – den Ausschluß dieser Frauen mit sogenannten 580-Mark-Jobs aus der Rentenversicherung als diskriminierend und als Verstoß gegen EU-Recht eingestuft. Nicht umsonst hält auch Bundeskanzler Helmut Kohl inzwischen eine Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse für notwendig.

Das Verfahren in Luxemburg hatte das hannoversche Sozialgericht per Vorlagebeschluß eingeleitet. Der Vorsitzende der zuständigen 31. Kammer des Sozialgerichts hat auch in Veröffentlichungen die Auffassung vertreten, daß kurzzeitig oder geringfügig beschäftigte Frauen durch den Ausschluß aus der Sozialversicherung diskriminiert werden. Sozialrichter Leandro Valgolio kann darauf verweisen, daß in diesen etwa 2,5 Millionen sozial nicht abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen zu 90 Prozent Frauen tätig sind.

Der Gesetzgeber hatte einst den Versicherungsausschluß dieser Frauen ausdrücklich mit deren sozialer Absicherung über den Ehemann begründet – was quasi eine Absicherung durch Heirat zur Pflicht macht. Von dem Risiko Arbeitslosigkeit schließt eine solche Argumentation die kurzeitig beschäftigten Frauen gänzlich aus. Schließlich können Frauen über den Ehemann beim Arbeitsamt keinerlei Ansprüche erwerben.

Die Putzfrau, zu deren Gunsten die Kammer unter Leandro Valgolio am Dienstag entschieden hat, war vor dem Sozialgericht nicht einmal anwaltlich vertreten. Die aus Polen eingewanderte Aussiedlerin hatte ein Jahr lang weniger als 15 Stunden gearbeitet, bis ihr die Kündigung zugegangen war. Das Arbeitsamt hatte bei der Ablehnung ihres Antrags auf Arbeitslosengeld auf das Arbeitsförderungsgesetz verwiesen, das alle Erwerbstätigen, die weniger als 18 Wochenstunden arbeiten, als kurzzeitig Beschäftigte einstuft und für diese keinerlei Lohnersatzleistungen vorsieht. Jürgen Voges