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Wenn der TÜV zum Trinken lädt

■ Der TÜV Berlin-Brandenburg lud zum wissenschaftlich begleiteten Kampftrinken. Über hundert Männer und Frauen testeten im Selbstversuch ihr Reaktionsvermögen

Vor den Augen von Franziska Groll tanzen blaue, gelbe, grüne und rote Punkte. Die 31jährige sitzt mit glühenden Wangen und glasigen Augen vor einem Gerät mit verwirrend vielen Lampen und Knöpfen. Schon das Aussprechen des Namens bereitet ihr Schwierigkeiten: Wiederdeterminationsgerät. Franziska Groll weiß zwar, was zu tun ist, doch ihr Körper will ihr nicht gehorchen. Das rote Licht leuchtet auf. Ihre Hand schießt auf den dazugehörigen roten Knopf zu. Doch die Finger verfehlen ihr Ziel. Als das grüne Licht leuchtet, schafft sie es, den grünen Knopf zu treffen. Doch Zeit zum Freuen bleibt ihr nicht. Ein tiefer Brummton ertönt. Wie war das noch mal? Hektisch überfliegt sie die vielen Knöpfe. Ach ja! Die Taste mit dem T wie Tief muß gedrückt werden. Doch als der Gedankenblitz ihr Hirn erreicht, ist das Brummen verklungen, und ein weißes Licht strahlt sie an. Franziska Groll wirkt irgendwie hilflos. „Du mußt das linke Pedal drücken!“ ruft jemand. „O Gott, das Pedal hab' ich total vergessen“, sagt sie und kichert albern.

Kein Wunder. Franziska Groll hat sieben Gläser Weißwein intus und einen Blutalkoholwert von 1,45 Promille. Die Mitarbeiterin des Landeseinwohneramtes, zuständig für die Erteilung von Taxilizenzen, gehört zu den mehr als einhundert Männern und Frauen, die am Mittwoch abend unter „ärztlicher Beobachtung“ tranken. Der TÜV Berlin-Brandenburg hatte zu einem „wissenschaftlich begleiteten Trinkversuch“ geladen. Verkehrsrichter, Anwälte, Ärzte und Psychologen wollten am eigenen Körper erfahren, wie der vom „Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr“ gesponserte Alkohol ihr Reaktionsvermögen verändert.

Der Hintergrund dieses feucht- fröhlichen Abends ist allerdings ein ernster: Nach Angaben des TÜV ist bei einem Viertel aller Arbeitsunfälle Alkohol im Spiel. Die medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen des TÜV haben im letzten Jahr fast 3.000 Fahrer auf ihre Eignung überprüft, die Hälfte davon wegen Alkohols am Steuer. 38 Prozent von ihnen müssen seitdem zu Fuß gehen.

Ein Arzt an jedem Tisch sorgt für die Einhaltung des TÜV-Versprechens „Sie trinken, wir kontrollieren“. Uhrzeit und Getränke werden exakt protokolliert. Franziska Groll und die Leiterin eines Straßenverkehrsamtes im Landkreis Teltow-Fläming sind allerdings höchst erstaunt: Obwohl sie kräftig weiterpicheln, werden ihre Reflexe offenbar immer besser: In immer kürzerer Zeit schaffen sie es, die neunzig verstreuten Zahlen auf dem Blatt Papier zu verbinden.

Evelyn Schulze von der Medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle, betreuende Ärztin am Tisch der Frauen, schaut verwundert drein. Denn neueste Untersuchungen haben ergeben, daß die „kritische Grenze“ bereits bei 0,5 Promille liegt. Der letzte Satz der Ärztin lautet: „Wir wissen, daß wir an der Alkoholfront alleine kämpfen.“ Barbara Bollwahn

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