Göttersammlung

■ Herbert Riehl-Heyse verklärt die kommerzielle Unschuld der bundesdeutschen Medienpioniere in einem Porträtbuch

Am Anfang des Buches steht die Klage. Herbert Riehl-Heyse ist leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und unzufrieden mit seiner Zunft. Heute seien Medienleute, Verleger wie Journalisten, austauschbarer als in den Gründerjahren der Bundesrepublik und überall stehe das Geschäft und nicht das Produkt im Vordergrund. Ein mangelhaft gebildeter und schlechtbezahlter „journalistischer Volkssturm“ sei heute im Auftrag der Verleger am Werk.

Eine heile Gegenwelt zu diesen marktwirtschaftlichen Umtrieben entdeckt Riehl-Heyse unter den Altvordern der Zunft: Er sprach mit Journalisten, Verlegern und Filmproduzenten, deren Aufstieg jeweils nach dem Krieg begann.

Riehl-Heyse gesteht, mit seinem Buch „in manchen Teilen eine Liebeserklärung an eine vom Aussterben bedrohte Spezies“ geschrieben zu haben. Seine Götter fanden nach der Diktatur und dem Krieg einen abgeräumten Tisch im Mediengewerbe vor. Die Lizenzvergabe der Besatzer glich einem Lotteriespiel, und doch setzten sich, so Riehl-Heyse, die Stärksten und einige Genies am Ende durch. Die meisten hatten vom Kaufmännischen keine Ahnung; sie waren vielmehr geprägt von der Leidenschaft, Zeitungen oder Bücher zu machen, und verspürten eine unbändige Lust, sich in die öffentlichen Angelegenheiten einzumischen.

Rudolf Augstein ist dafür bekannt. Er selbst führt das, was er geworden ist, auf einen Zufall zurück. Er gründete ein Nachrichtenmagazin, einfach weil „die Engländer eines haben wollten“. Und erst das Blatt, so Riehl-Heyse, machte aus dem hochbegabten einen großen Journalisten. Gerd Bucerius bezeichnete einmal seine von der Besatzungsmacht erhaltene Druckerlaubnis für die Zeit als „Lizenz zum Gelddrucken“. Riehl- Heyse beschreibt Bucerius als agilen Geschäftsmann mit politischen Ambitionen, der den „Irrtum“ beging, einen ehemaligen Bundeskanzler zum Herausgeber seiner Zeitung zu berufen.

Die Medienpioniere der Bundesrepublik haben sich eben trotz gänzlich anderer Startbedingungen, als sie ihre Nachfolger vorfanden, keineswegs dem Lockruf des Marktes entzogen. Das trifft sogar auf Mediengrößen zu, deren Biographien stärkere Brüche aufweisen. So zum Beispiel Artur „Atze“ Brauner, Sohn eines jüdischen Holzgroßhändlers aus Lódź. Er hatte durch den nationalsozialistischen Terror 49 Verwandte verloren und half den Deutschen nach dem Krieg als Berliner Filmproduzent bei der Verdrängung: mit Komödien, Heimat- und Karl-May- Filmen. Die Porträts von Leo Kirch, Reinhard Mohn und Henri Nannen zeigen noch deutlicher, wie sehr die von Riehl-Heyse kritisierte Kommerzialisierung und inhaltliche Verflachung der Medienbranche auch von den Altvordern angestoßen worden ist. Leo Kirch begann als Filmhändler, belieferte ARD und ZDF und später den eigenen Sender Sat.1. Da Riehl- Heyse bei Kirch als einzigem keinen Termin bekam, bleibt unverständlich, warum er, mit einem Video abgespeist, ihn dennoch in seine Porträtsammlung aufnahm.

Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn dagegen war zu sprechen. Er war seit eh und je nur an stabilen Gewinnen mit Hilfe austauschbarer Inhalte interessiert. Jetzt bei RTL. Schließlich Henri Nannen: Er huldigte als junger Journalist dem Führer. Sein Stern sank, als er sich anschickte, die angeblichen Tagebücher seines Jugendidols zu veröffentlichen. Hier rächte sich, daß Nannen der Nation über Jahrzehnte ein Magazin serviert hatte, das sich konsequent von einer Grundidee leiten ließ: Beliebigkeit. Da hätte man bei dieser Gelegenheit gerne gewußt, warum Riehl-Heyse ausgerechnet diesem Blatt einmal für kurze Zeit als Chefredakteur zur Verfügung stand.

In der Göttersammlung findet sich nur eine Göttin: Die Schnittmuster-Publizistin Aenne Burda wurde offensichtlich als Alibifrau aufgenommen. Insgesamt zeichnet Herbert Riehl-Heyse ein facettenreiches Gemälde von der versinkenden Welt der Mediengrößen, selten wahrt er jedoch kritischen Abstand. Und er verfehlt sein Ziel, die Entstehungsbedingungen für einen „großen Journalismus“ zu erläutern: Zu bunt ist die Mischung, zu verschwommen die Darstellung, zu voreingenommen die Art, die Älteren gegen die heutigen „Erfolgstypen im Mega-Business Medien“ auszuspielen. Am Ende ist es mehr Verklärung als Aufklärung. „Götterdämmerung“ ist die Chiffre für den Weltschmerz eines Journalisten, der uns vielleicht gelegentlich einmal erklärt, wie man in Deutschland guten Journalismus macht, ohne daß das Land zuvor in Trümmern gelegen haben muß. Joachim Oltmann

Herbert Riehl-Heyse: „Götterdämmerung. Die Herren der öffentlichen Meinung“. Siedler Verlag, 223 Seiten, 39,80 DM