■ Was bringt das neue Weltaidsprogramm „UN-AIDS“?
: „Die Zündschnüre kappen!“

taz: Wie schätzen Sie die Ausbreitungsdynamik des Aidsvirus im 15. Jahr der Krise ein? Erleben wir in Asien ein Déja-vu der afrikanischen Situation?

Sally Cowal: Wir schwanken zwischen Hoffnung und Angst. Unsere Angst ist, daß wir tatsächlich ein Déja-vu erleben, daß wir in Asien dieselbe explosionsartige Ausbreitung von HIV haben werden. Unsere große Hoffnung ist, daß wir den „Turn-around“ schaffen. In Thailand, eines der am schlimmsten betroffenen Länder, hat sich die Zahl der Neuinfektionen zumindest stabilisiert. Dort gibt es mehr Information, mehr Kondome und die Menschen nehmen diese Angebote auch an.

... Und das Problem Aids wird nicht mehr verleugnet?

Vor 15 Jahren haben alle geleugnet, daß es ein Aidsproblem gibt. Das ist vorbei. Aids läßt sich nicht mehr verleugnen. Aber wir sitzen noch immer auf mehreren Zeitbomben. Wir müssen die Zündschnüre kappen.

Neben Thailand und Indien blickt die Welt vor allem auf China, wo sich HIV sehr rasch ausbreitet. Stellt sich die chinesische Regierung der Herausforderung von Aids?

China ist Mitglied in unserem Aufsichtsgremium. Ich kann Ihnen nur sagen, daß China Geld für uns freischaufeln wird, und daß der chinesische Vertreter auf unseren Sitzungen sehr unverblümt über die Situation diskutiert. Sein Land hat jetzt angekündigt, daß es einige Hunderttausend Dollar für UN- AIDS bereitstellen wird. Das ist der größte Betrag, den China jemals freiwillig einer UN-Organisation spendiert hat. Auch China hat aufgehört, Aids zu ignorieren.

Während die Epidemie in Asien und Afrika wütet, bekommen die Industrienationen Aids immer besser unter Kontrolle. Die Folge: Kürzungen der Budgets. Werden die ärmeren Länder mit Aids alleingelassen?

Die Aids-Müdigkeit der Geberländer ist ein großes weltweites Problem. Wir müssen immer wieder – gerade am Weltaidstag – daran erinnern, daß 90 Prozent aller HIV-Infektionen in den Entwicklungsländern passieren. Und dort fehlen die Mittel, um damit fertig zu werden. Aids ist ein globales Problem. Wir werden die Ausbreitung nur dann stoppen, wenn wir das Virus überall stoppen. Solange ein einziger Mensch infiziert ist, sind alle Menschen gefährdet.

Fünf Millionen sind aidskrank, 20 Millionen sind infiziert, 10 Millionen Aids-Waisen bis zum Jahr 2000. Haben wir das Zerstörungspotential dieser Krankheit überhaupt verstanden?

Nein. Es wird unser Job sein, dieses Verständnis zu schaffen. Ich komme aus den USA. Dort wird Aids noch immer als Problem der Homosexuellen gesehen. Daß Aids in Asien und Afrika überwiegend heterosexuell übertragen wird, daß dort 90 Prozent unseres Problems liegen, das wissen die Leute nach 15 Jahren Aidsdiskussion immer noch nicht. Ich bin sicher, daß die Bereitschaft, Geld zu geben, wachsen wird, wenn das Ausmaß der Krise in vollem Umfang sichtbar wird.

Letztes Jahr auf dem Aids-Gipfel in Paris haben alle Nationen versprochen, sich stärker zu engagieren. Mit welchem Ergebnis?

Nehmen Sie das Beispiel Frankreichs. Frankreich wollte von seinen auf dem Aids-Gipfel zugesagten Verpflichtungen zurücktreten. Doch dann mußte die französische Regierung dem Druck aus dem eigenen Land nachgeben. Auf der letzten Ländersitzung hat Frankreich angekündigt, daß es seine finanziellen Zusagen in vollem Umfang einhalten wird. Aber es braucht diesen Druck.

Die Weltgemeinschaft hat die Organisation im Abwehrkampf gegen Aids umgekrempelt und ein neues „Headquarter“ an die Spitze gesetzt: UN-AIDS. Was waren die Gründe?

Wir haben eingesehen, daß wir eine stärker nichtmedizinisch orientierte Strategie brauchen, um mit der weltweit wachsenden Epidemie fertig zu werden. Innerhalb der engen Grenzen des Programms der Weltgesundheitsorganisation war das nicht zu schaffen.

Ist das nicht eine Entmachtung der WHO, die kritisiert wurde, nicht effektiv genug zu arbeiten?

Keineswegs. Die WHO und alle anderen werden ihren Job, in dem sie Erfahrung haben, weiter tun, aber mit mehr Koordination und Führung. Die WHO wird sich auch künftig stark um die Sicherheit der Blutkonserven kümmern. Das Problem war, daß die WHO innerhalb ihres Aidsprogramms keine anderen Organisationen anleiten und koordinieren konnte.

Der Erfolg im Kampf gegen Aids ist sehr stark eine Frage des Geldes. Werden Sie wirklich genug Geld beschaffen können?

Wir haben das Geld noch nicht. Wir hoffen aber, daß wir Geld von den traditionellen Geberländern bekommen. Deutschland war immer ein wichtiger Unterstützer. Aber wir wollen auch Länder ansprechen, die bisher nichts gegeben haben. China will sich engagieren. Das könnte ein Trend werden. Alle Länder müssen sich klarmachen, daß dieses neue weltweite Aidsprogramm ihr Eigentum, ihre Sache ist. Wir wollen aber auch bei Unternehmen und Privatpersonen Geld sammeln.

Um in der Aidsverhütung größere Erfolge zu erzielen, brauchen die Frauen dringend einen eigenen Schutz, damit sie nicht länger auf die Kondome der Männer angewiesen sind. Immer wieder wurde die Entwicklung antiviraler vaginaler Schutzsprays angekündigt. Warum geht das nicht voran?

Es dauert seine Zeit, bis ein gutes Produkt zu einem vernünftigen Preis auf dem Weltmarkt verfügbar ist. Derzeit laufen Studien und Versuche in Kamerun und anderen Teilen der Welt. Bis die Ergebnisse vorliegen, vergehen nochmal zwei Jahre. Mit viel Glück haben wir in dann ein Produkt. Wenn wir Pech haben, können wir nach zwei Jahren mit neuen Studien und neuen Mitteln von vorn anfangen.

Solange es keinen vaginalen Schutz gibt, sind alle auf das Kondom angewiesen. Wie hat sich seine Akzeptanz entwickelt?

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Normen und Probleme. Als ich ein junges Mädchen war, haben wir geflüstert, wenn wir beim Apotheker ein Kondom kaufen wollten. Dieses Versteckspiel ist vorbei. Das Kondom hat in den letzten Jahren endgültig sein Stigma verloren. Das eigentliche Problem ist, daß in vielen Ländern die Frauen nicht gleichberechtigt sind und von ihren Mänern das Benutzen des Kondoms nicht verlangen können.

Gibt es eine Chance, die weltweite Aidsepidemie in den nächsten Jahren unter Kontrolle zu bekommen?

Wir wissen von unseren Kampagnen, daß Sexualverhalten tatsächlich geändert werden kann. Wir können die kulturellen und religiösen Normen durchbrechen. Die Infektionsraten gehen in einigen Ländern zurück. Die schwulen Männer in meinem Land haben zum Beispiel ihr Verhalten geändert. Es gibt zwar kein Heilmittel gegen Aids, und – seien wir ehrlich – auch ein Impfstoff ist nicht absehbar. Aber wir können allein durch Verhaltensänderung die Epidemie abbremsen.

Haben wir zu lange auf ein Wundermittel gewartet?

Jahr für Jahr fließen viele Milliarden in die Erforschung von Heilmitteln und Impfstoffen. Das ist gut, das muß gemacht werden. Aber inzwischen sind wir pragmatischer geworden. Wir müssen das tun, was wir jetzt und heute tun können. Interview: Manfred Kriener