Schlacht um Ägyptens Wahlurnen

Die Parlamentswahlen gerieten in einigen Bezirken zum handfesten Kampf zwischen Anhängern des Präsidenten und Oppositionellen. Die Mubarak-Getreuen hatten die Polizei auf ihrer Seite  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

„Betrug!“ schreit eine Frauenstimme im Innern des Frauen- Wahllokals in Kairos Bezirk Dokki. Vor dem Gebäude gerät die Menge der meist verschleierten oder kopftuchtragenden Frauen – Anhängerinnen der islamistischen Muslimbruderschaft – in Bewegung. „Kommt alle rein“, fordert eine von ihnen auf, „wir müssen die Wahlurnen verteidigen.“ Unmittelbar danach stürmen um die 70 Frauen und einige Männer an dem wachhabenden Polizisten vorbei in die zum Wahllokal umfunktionierte Schule. Eine Szene der ägyptischen Parlamentswahlen am Mittwoch.

Anlaß des Tumultes: Anhänger der regierenden National Demokratischen Partei (NDP) des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak hatten kurzerhand die als WahlbeobachterInnen gesetzlich vorgeschriebenen Vertreterinnen der Oppositionsparteien mit Gewalt aus dem Wahllokal geworfen und die Türen abgeriegelt, um anschließend nach Gutdünken mit den Urnen zu verfahren.

Dokki am westlichen Ufer des Nils in Kairo ist nicht irgendein Bezirk. Hier tritt der Sprecher der Muslimbruderschaft, Mamun Hudeibi gegen die Sozialministerin Amal Osman (NDP) an. Der Mittelklasse-Wahlbezirk gilt als Testfall für eine direkte demokratische Konfrontation zwischen Muslimbrüdern und Regierung.

Noch am Morgen des Wahltages hatten die Anhängerinnen Hudeibis und anderer Oppositionsparteien die Wahllokale unter Kontrolle und stellten sicher, daß alles mit rechten Dingen zuging. Draußen checkten sie jede Wählerin mit den Listen der eingeschriebenen Wählerinnen. Wenige Stunden später stehen sie schreiend und teilweise mit Tränen in den Augen vor den verschlossenen Räumen.

Bei ihrer Ohnmacht wollen sie es aber nicht bewenden lassen. Auf der Galerie zum Innenhof entspinnt sich eine Massenschlägerei zwischen Anhängerinnen der Muslimbrüder und jenen Mubaraks. Einige der Frauen schlagen die Scheiben ein.

Das ist das Zeichen für den Großeinsatz der Sicherheitskräfte. Fünf Lkws der Bereitschaftspolizei rücken an. Deren mit Helmen, Platikschildern und langen Holzstöcken bewaffnete Insassen belagern binnen weniger Minuten das Wahllokal. Zwei Stunden vor Wahlschluß werden die Pforten der Schule dichtgemacht. Vor dem Gebäude sammeln sich aufgebrachte Frauen, die ihre Stimmen noch nicht abgegeben haben.

„Der Präsident hat es gestern in seiner Fernsehansprache versprochen. Ich möchte jetzt sofort meine Stimme abgeben“, fährt eine durch ihre modische Kleidung deutlich als Nichtislamistin zu erkennende Frau einen der Polizisten an, während sie ihre Wahlkarte hochhält. „Ich habe meine Befehle: die Schule ist dicht“, schnauzt der.

Als die Bereitschaftspolizei schließlich die Schule stürmt, sichert sie nicht etwa die Wahlurnen. Statt dessen werden die Anhängerinnen der Muslimbrüder aus dem Wahllokal gejagt und vor der Schule an der Schulmauer mit Stöcken und Schildern zusammengedrängt. Die Vertreterinnen der Regierungspartei dürfen derweil wie selbstverständlich in dem Wahllokal bleiben. Dann werden die Wahlurnen von einem Lkw mit auf der Ladefläche sitzenden Wahlbeobachtern der Regierungspartei und stockschwingenden Polizisten abgeholt. Die Anhängerinnen Hudeibis werden zuerst im Schulhof eingesperrt und eine gute Stunde später zur nächsten Polizeistation gebracht.

Die außerhalb des Schulgebäudes gebliebenen Anhängerinnen der Muslimbrüder betrachten die Szene durch eine vor ihnen aufgebaute Polizeikette. Ihnen bleibt nichts weiter übrig, als ihre Papierfähnchen mit der Parole „Der Islam ist die Lösung“ vor den inzwischen eingetroffenen Pressefotografen hochzuhalten. Die Wahlen sind für heute vorbei. Der Spuk im Wahllokal ist vorüber. Der Hausmeister riegelt das Schultor ab. Mit Mühe schiebt ein gutes Dutzend Bereitschaftspolizisten eines ihrer veralteten Vehikel an.

Der Vorfall in Dokki sei kein Einzelfall, erklärt Hisham Mubarak, Direktor des Zentrums für Menschenrechte und Rechtsberatung am Mittwoch abend. Zusammen mit anderen regierungsunabhängigen Organisationen hatte seine Organisation ein Wahlbeobachtungskomitee gebildet. Über 650 offizielle WahlbeobachterInnen der Opposition, meist IslamistInnen, seien einen Tag vor der Wahl und selbst noch am Wahltag festgenommen worden. Viele der gesetzlich festgelegten WahlbeobachterInnen der Opposition seien seit den frühen Morgenstunden des Wahltages in den Mühlen der ägyptischen Bürokratie zerrieben worden. Oft dauerte es bis Mittag, bis viele von ihnen alle notwendigen Genehmigungen beisammen hatten, um schließlich mit an der Urne zu stehen. Ihre Kollegen der regierenden NDP konnten dagegen ganz unbürokratisch schon bei der Öffnung der Wahllokale präsent sein.

Hunderte von Beschwerden über Betrug und Gewalt erreichten das unabhängige Wahlkomitee noch am Wahltag, erklärt Hisham Mubarak.

Bis gestern waren fünf Todesfälle im Zusammenhang mit den Wahlen bekannt geworden. Hunderte von Menschen sollen bei Zusammenstößen zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern verletzt worden sein. Im Zweifel prügelte die Polizei auf Seiten der Regierungspartei mit.

Auch bei der bis Redaktionsschluß noch andauernden Auszählung ging es nach Angaben Hisham Mubaraks nicht mit rechten Dingen zu. In vielen Bezirken seien die Vertreter der Opposition von den Auszählungskomitees ausgeschlossen worden. Ein Vorwurf, den auch Abdallah Abul Hassan vom Hauptquartier der mit den Islamisten kooperierenden Arbeitspartei bestätigt.

„Die Rowdies haben wieder einmal gesiegt“, titelte gestern die einzige nach dem Wahltag erscheinende ägyptische Oppositionszeitung al-Wafd. Der allgemeine Tenor im Land lautet: Alles ist beim alten geblieben – obwohl Präsident Mubarak noch einen Tag vor den Wahlen den ägyptischen Bürgern eine bisher noch nie dagewesene freie und saubere Wahl versprochen hatte.