Dayton spaltet Serben-Führung

■ Milošević muß sich auf die Suche nach neuen Verbündeten begeben. Der gefeuerte Jović spricht von „Verrat“

Wien (taz) – In Belgrad tobt ein erbitterter Machtkampf: Serbiens Präsident Slobodan Milošević hat sich von seinen ehemals engsten politischen Mitstreitern getrennt und scheint jetzt eine Koalition mit gemäßigteren Oppositionsparteien anzustreben. Zu den jüngsten Opfern der Säuberung in seiner sozialistischen Partei zählen neben dem zweiten stellvertretenden Parteivorsitzenden Mihailo Marković auch der ehemalige Milošević-Stellvertreter und zweite Mann in der Partei, Borislav Jović. Hinter Jović, einem scharfen Kritiker des Friedensvertrags von Dayton, stehen noch ein Flügel der Partei und einflußreiche Teile des serbischen Generalstabs.

Es waren Jović und Milošević, die nach dem Tod Titos 1980 auf die nationalistische Karte setzten und die autonome Provinz Kosovo mit Brachialgewalt unter Belgrader Kontrolle brachten. Sie stachelten damals serbische Bauern zu Protesten gegen die angebliche Unterdrückung durch die albanischen Bevölkerungsmehrheit an. Jović und Milošević nahmen diese Kundgebungen dann zum Anlaß, den vermeintlichen „albanischen Seperatismus“ blutig niederschlagen zu lassen.

Mit dieser Aktion erreichten Jović und Milošević zwei Ziele: Zum einen spalteten sie den multinationalen „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ in ein serbisch-nationalistisches und ein „anti-serbisches“ Lager, zum anderen legten sie den Keim einer Auflösung des Vielvölkerstaates. Heute sind zahlreiche Dokumente zugänglich, die die Intrigen der beiden Großserben belegen und ihre Absicht unterstreichen, ein großserbisches Reich auszurufen. Vor allem in Jovićs jetzt veröffentlichter Autobiographie, „Die letzten Tage Jugoslawiens“, finden sich viele Hinweise darauf, wie Milošević mit seinem Kampfgefährten die jugoslawische Föderation zerstören wollte und beide mit dem Gedanken spielten, Slowenien, Kroatien und Bosnien bei einer möglichen Abspaltung den Krieg zu erklären.

Was Jović jetzt dazu bewogen hat, seine politischen Ansichten offenzulegen und es auf einen Machtkampf mit Milošević ankommen zu lassen, sorgt in Belgrad für wilde Gerüchte. Manche Beobachter glauben, Jović wollte die Flucht nach vorn antreten, da westliche Geheimdienste genügend Informationen gesammelt hätten, die ein Zusammenspiel zwischen den Belgrader Schreibtischtätern und den Freischärlertruppen in Bosnien und Kroatien belegten. Andere glauben, Jović wolle sich als neuer Retter der Serben präsentieren, der in Miloševićs Unterschrift unter den Friedensvertrag von Dayton einen Verrat an Großserbien sieht. Tatsache ist, daß Milošević nun einen Parteitag einberufen lassen will. Dort soll ein neues Programm verabschiedet werden, unter dem Motto: Frieden in Bosnien, Frieden in Serbien.

Jović kündigte an, an den „alten Prinzipien“ festzuhalten und mit den kroatischen und bosnischen Serben eine Volksfront ins Leben zu rufen – gegen „den Verrat von Dayton“. Ob dort auch Kriegsverbrecher wie der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić eine neue Politkarriere starten, oder ob es Milošević gelingen wird, die Hardliner innerhalb der Belgrader Machtelite kaltzustellen, ist derzeit ebenfalls Gegenstand von Spekulationen. Karl Gersuny