Mit Schnupftabak in den Gerichtssaal

■ Altbundeskanzler Schmidt trat als Zeuge im Wienand-Prozeß auf: Nichts Erhellendes

Düsseldorf (taz) – Kurz bevor der Zeuge den Saal im Düsseldorfer Oberlandesgericht betritt, flachst der Senatsvorsitzende Günter Krantz in Anspielung auf das Berliner Honecker-Verfahren: „Ein Autogramm hol' ich mir aber nicht.“ Er hätte sich auch beeilen müssen, denn Helmut Schmidts Auftritt im Spionageverfahren gegen seinen einstigen Kumpel Karl Wienand dauerte kaum mehr als 15 Minuten.

Zunächst zückte der 76jährige Altbundeskanzler erst einmal seine Schnupftabakdose, um sich dann „sehr erstaunt“ zu zeigen, „daß ich hier geladen bin, denn die Bundesanwaltschaft weiß ja, daß ich dazu nichts sagen kann“.

Im Kern geht es bei seiner Vernehmung um die Frage, ob Wienand quasi im offiziellen Auftrag oder mit Wissen der Regierung einen inoffiziellen Kontakt zum ostdeutschen Ministerium für Staatssicherheit gehalten hat. „Darüber ist mir nichts bekannt“, sagt Schmidt, den mit Wienand ein „freundschaftliches Verhältnis“ aus alten Abgeordnetentagen verbindet. Dann erteilt Schmidt den Prozeßbeteiligten ein paar Minuten Geschichtsunterricht. Natürlich habe es von Bonn und anderen westlichen Hauptstädten aus „vielerlei inoffizielle Kontakte“ in den Ostblock hinein gegeben. Daß dabei auch die östlichen Geheimdienste mit beteiligt waren, „mußte man unterstellen“, weil die dortigen „Regierungen und Spionageorganisationen Hand in Hand miteinander verwoben waren“. Das sei, so fügt Schmidt süffisant hinzu, „möglicherweise auch heute nicht anders“. Auf die Frage von Bundesanwalt Lampe, ob Wehner die Kontakte von Wienand geduldet und zur Gewinnung von vertraulichen Informationen genutzt habe, sagte Schmidt: „Ich weiß davon nichts, aber ich halte das durchaus für möglich.“ Inoffizielle Kontakte in den Osten seien „ganz selbstverständlich“ von führenden Politikern aller Fraktionen gepflegt worden.

Glaubt man der Anklage, dann hat es sich bei den Wienand-Kontakten aber genau nicht um solche „selbstverständlichen Kontakte“ gehalten. Im Gegenteil: Die Bundesanwaltschaft wirft Wienand vor, von 1970 bis 1989 unter dem Decknamen „Streit“ für Ost-Berlin gegen Bares spioniert zu haben. Sein vermeintlicher Instrukteur aus der Ostberliner Spionagezentrale „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA), Alfred Völkel, sitzt zusammen mit ihm auf der Anklagebank. Wienand beteuert, ohne sein Wissen nur „abgeschöpft“ worden zu sein.

Vor Gericht wurde diese Version von Völkel und weiteren HVA-Mitarbeitern bestätigt. Auch der letzte HVA-Chef, Werner Großmann, sagte als Zeuge aus, der „Vorgang Streit“ sei ein „Abschöpfungskontakt“ gewesen. Weil Großmann aber gleichzeitig bestätigte, für diesen „Vorgang“ seien „um die 100.000 Mark im Jahr“ bereitgestellt worden, sah die FAZ Wienand durch Großmann „schwer belastet“. Tatsächlich deckt sich diese Aussage mit der Darstellung zweier Hauptbelastungszeugen. Die beiden frühere Mitarbeiter der HVA bezeugten vor Gericht, für den Vorgang „Streit“ seien seit 1986 mindestens monatlich 10.000 Mark an Völkel gezahlt worden.

Eine Beschwerde gegen den – außer Vollzug gesetzten – Haftbefehl hatte der Bundesgerichtshof im Spätsommer zurückgewiesen. Für den von Wienands Verteidigern geäußerten Verdacht, das Geld könne von den HVA-Angestellten unterschlagen worden sein, sieht der BGH keinen Anhaltspunkt. Walter Jakobs