: Bürgers Sinn und Staates Trägheit
■ Mit den Museen in die Zukunft (3): Die Kunsthalle wagt den heiklen Spagat zwischen Avantgarde und Klassik, zwischen Sponsoring und Staatsknete
Bremens Museen stehen vor einer historischen Chance. In den Führungsetagen wurden die Köpfe ausgetauscht, eine neue Riege von MuseumsdirektorInnen schreitet zur Tat. Endlich soll die maroden Häuser saniert werden, sollen neue Konzepte entwickelt werden. Fernziel: eine attraktivere Museumslandschaft, die mehr Publikum anzieht – auch von außerhalb. In einer dreiteiligen Folge schaut die „taz“ nach, wie diese Chance genutzt wird.
Am Ende halfen nur noch Drohungen. Man werde, schworen die Herren vom Kunstvereinsvorstand, einfach „die Bude dichtmachen. Mit allen Rissen, allen Wasserflecken an den Wänden, mit dem aufquellenden Fußboden, dem ganzen Muff und Modergeruch. Keine Kunsthalle mehr. Kein Beck- und kein Liebermann, keine Paula und kein Paik. Es sei denn, die Stadt zahlt. Damit endlich saniert werden kann, nach Jahrzehnten des Dahingammelns. Das wirkte: Die Kultursenatorin lenkte ein; ein Drittel der über 20 Millionen Mark teuren Auffrischung kommt nun aus der Stadtkasse.
Im April wird die Kunsthalle für zwei Jahre wegen Umbau schließen. Stadt, Bund und Privatleute teilen sich die Kosten. Ein Engagement, das für das älteste Kunsthaus am Platze zur rechtem Zeit kommt. Die Sanierung, ein neuer Direktor, ein Schwung junger KustodInnen, populäre Sonderschauen – all das soll den miserablen Ruf bessern und vor allem wieder Kundschaft ins Haus bringen. Erste Anzeichen sind meßbar.
Meßbar in Publikumszahlen: 125.000 BesucherInnen bestaunten die „Pariser Nächte“, die stimmungsvoll inszenierte Toulouse-Lautrec-Schau; rund 22.000 waren es beim John-Lennon-Spektakel. Weniger als erhofft, räumt Direktor Wulf Herzogenrath ein. Aber kein schlechtes Ergebnis. Populäre Klassiker und junge Kunst: Es wird wohl noch ein wenig dauern, bis die neue Line des Hauses auch von den Einheimischen goutiert wird. Zwei Drittel der „Pariser Nächte“-Gäste kamen von außerhalb. Dem Lennon-Kult blieben die älteren Stammgäste weitgehend fern. Und als Herzogenrath, ein Freund und Kenner der neuen Medien, im Sommer auch noch die wilden Konzeptfotos von Anna und Johannes Bernhard Blume ausstellte, gab es gar böse Briefe an den Kunstverein.
Aber Herzogenrath beißt die Zähne zusammen, grinst optimistisch und hofft, daß die Herren von Kunstverein ein Gleiches tun. Denn fast zeitgleich mit dem Wechsel auf Direktoriumsebene verjüngte sich auch der Vorstand jener kunstsinnigen Bürger, die seit knapp 175 Jahren die privaten Träger der Kunsthalle sind. „Ein Generationswechsel“, sagt Herzogenrath. Die Kaufleute im neuen Vorstand sollen sich nun „mit der neuen Bewegung im Haus identifizieren.“
Bewegt wurde in der Tat schon einiges. Eine Videoskulptur von Nam June Paik war die erste Anschaffung unter dem neuen Direktor. Nun steht sie als Blickfang in der „Großen Galerie“, der guten Stube des Hauses – früher kaum denkbar. Gut ein Dutzend Ausstellungen wurden für das letzte Jahr vor der Schließung angeleiert – eine Aktivität, die es jahrzehntelang nicht gab. Neue Publikationen, mehr Führungen fürs Publikum – die neuen KuratorInnen müssen sich persönlich die Füße für den Erfolg ablaufen, jeden Dienstag, jeden Sonntag.
Der Wirbel mag manchen Gast freilich auch verschreckt haben. Zwischen Toulouse-Lautrec und Lennon, zwischen Modefotografie und alten Meistern sind echte Schwerpunkte der neuen Linie nur schwer erkennbar. Aber für das neue Team zählt erstmal das Präsenzzeigen, nachdem es jahrelang still war im und ums Museum. Auch während der Bauzeit wird deshalb weitergewirbelt. Wenn nicht im eigenen Haus, dann eben anderswo: Alte Meister in der Weserburg, Jan van Goyens holländische Idyllen neben Richard Serras spröder Konzeptkunst? Einen „großen Auftritt“ erhofft man sich auch vom Gastspiel in der Bundeskunsthalle in Bonn: Im September '97 zeigen die Bremer dort, wenn alles klappt, ihre Glanzstücke.
Damit rechtzeitig zur Wiederöffnung sich endlich herumgesprochen hat, welche Schätze es in Bremen zu bestaunen gibt. Mit den eigenen Pfunden zu wuchern: Das ist zwar eine Maxime, die die Direktoren, der Not gehorchend, landauf, landab ausgeben. Aber nirgendwo scheint dies so nötig wie in Bremen. Die Wertschätzung der eigenen Bestände, der eigenen Kulturhäuser, wird vor allem bei den Trägern öffentlicher Meinung vermißt. Die Mobiliserung der Bürger hingegen, die ihre Kunsthalle zuletzt auch nur noch selten von innen sahen, scheint gelungen: Über 10.000 BürgerInnen bat das „Kuratorium Erneuerung der Kunsthalle“ vor genau einem Jahr um je 1000 Mark, gern auch etwas mehr; die notwendigen sieben Millionen Mark privaten Sanierungsgeldes hat man jetzt so gut wie in der Tasche. Anfang November, sagt der Kuratoriumsvorsitzende Dieter Berghöfer, „haben wir unsere Verpflichtung gegenüber der Kultursenatorin bestätigt“. Am Dienstag soll der Senat das seine dazutun und die restlichen zwei Millionen beschließen.
Was für den gebeutelten Bremer Sparsenat einen Kraftakt darstellen dürfte, soll in den Augen der Kunstleute freilich nur der Anfang eines dauerhaften staatlichen Engagements sein. Die „neue Bewegung“ nämlich war bisher nur möglich, weil sich die Kunsthalle in die Arme von Sponsoren und Marketingstrategen warf. Nicht zur völligen Freude der Kunsthistoriker: „Man liefert sich immer ein Stück weit aus.“ Die Spektakel dieses Jahres, die „Pariser Nächte“ und das Lennon-Revival, stellten bereits einen heiklen Balanceakt zwischen wissenschaftlicher Qualitätsarbeit und lautem Kommerzrummel dar. Ohne einen „Sockelbetrag“ von senatorischer Seite wird jede neue Schau zum Wagnis. Spätestens 1999, wenn die Kunsthalle mit einer van Gogh-Schau endgültig zu überregionaler Attraktivität finden will, „müßte es eine Staatshaftung geben“, sagt Herzogen-rath. Aber über sowas „darf man im Moment in Bremen noch gar nicht sprechen.“ Thomas Wolff
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