Wand und Boden
: Vom Rauschen

■ Kunst in Berlin jetzt: Struth, Hoffert, Rauch, Shore

Medien verhalten sich bekanntlich nicht neutral zu dem, was sie vermitteln. Sie nehmen Einfluß auf ihr „Transportgut“, technisch in Form des kommunikationstheoretisch so genannten „Rauschens“. Wir sind so sehr daran gewöhnt, daß sein Fehlen schockiert. Die Vergrößerungen winziger Negative, wie sie die Kleinbildkamera erzwingt, zeigen etwa ein erhebliches Rauschen in der Körnung, der Tiefen- und Bewegungsschärfe. Vor allem die schnelle, reportagehafte Straßenfotografie ist davon geprägt. Thomas Struth konfrontiert dagegen den Betrachter seit rund zwanzig Jahren mit ziemlich rauscharmen, großformatigen Fotografien von Straßen und Plätzen. Die gerne als unmenschlich apostrophierte Präzision seiner Bilder scheint zunächst eine kalte, klare Übersichtlichkeit zu gewährleisten, bis man bemerkt, daß man in der Vielfalt der völlig gleichgültigen Details unterzugehen droht. Struths Neue Fotografien bei Max Hetzler sind nicht mehr ganz so erbarmungslos. Neuerdings finden sich Farbe und Menschen in den Straßenszenen von China und Schanghai, ebenso wie in den Kirchen von Venedig. Vor allem die Farbe scheint dem Zerfall des Bildes in die Übermacht seiner Details Einhalt zu gebieten. Das Barock der Kirche San Zaccaria etwa wird zum Barock des 180 mal 228,5 cm großen Fotos. Befremdlich genug, simuliert nun der Eindruck des Malerischen das Rauschen, das die Szenen zusammenhält.

Bis 13.1., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Zimmerstraße 89

Gerhard Richter, der bekanntlich nach Fotovorlagen arbeitet, malt schon immer genau dieses Rauschen. Er weiß um dessen malerische Qualität; weshalb es auch schwarzweiß funktioniert. Struth fotografierte Richter in Madrid – und alles außer Richters Kopf ist unscharf. Eine etwas plakative Hommage. Zudem trägt Richter eine Brille, die seine Augen stark vergrößert. Sind solche Glupscher nötig, um so exquisit zu sehen und so zu malen, wie er es tut? Ich hoffe es nicht für Katrin Hoffert, deren Hommage an Richter wiederum die Kunst-Werke zeigen. Die Unschärfe und den amateurfotografenhaften Bildausschnitt hat sie von ihm. Ihre Motive allerdings differieren. Es gibt keine Landschaften, keine Porträts, keine Pressefotografie. Die Menschen, die sie malt, sind in bunten, privat wirkenden Schnappschüssen festgehalten. Badende Männer und Frauen werden in verschiedenen Ausschittsvergrößerungen und verschieden starken Unschärfen präsentiert. Dieser Reflex auf die Fotografie (und nicht auf die Malerei wie bei Richter) läßt Hofferts Adaptionen dann doch einigermaßen eigenständig funktionieren. Die Hängung – jeweils mehrere Formate sind in Gruppen zusammengefaßt – bleibt uneinsichtig, eher dekorativ. Merkwürdig, daß die Kunst-Werke die sonst üblichen Auskünfte zur Künstlerin nicht auslegen.

Bis 31.12., Di.–So. 15–18 Uhr, Auguststraße 69

Schräg gegenüber, bei Eigen + Art, ist die Präsentation solider, professioneller. Informationen für den Besucher sind ausgelegt. Neo Rauch, so erfährt man, betrachtet seine Arbeitsweise „als Wechselspiel zwischen Malerei und konzeptueller Bastelei“. Da ist was dran. Die konzeptuelle Bastelei überwiegt, oder, besser, der grafische Eindruck seiner Bildtafeln übertrifft den malerischen. Wenn man dann liest, daß Neo Rauch an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst arbeitet, löst sich das Rätsel um die auffällige Hybridform seiner Bilder.

Rauch montiert mit dünner Farblasur, mit stumpfen Farben und viel Schwarz bemaltes Papier auf seine Leinwände. Die Bildmotive sind oft verdoppelt, seriell ins Malfeld gesetzt. Aber weniger die Vervielfachung des Pop als die konstruktivistische Moderne meint man als Hintergrundfolie zu erkennen. Die Desaster des Pop sind ja auch die Autounfälle und nicht die Autostraßen wie bei Rauch. Seine Wahrnehmung zielt eher grundsätzlicher auf den militärisch-industriellen Komplex, dessen Architekturen und Armierungen. Betonschleusen oder Kanonen beschädigen aber die Landschaft als romantische keinesfalls.

Bis 6.1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Auguststraße 26

Bekanntlich handelt es sich um Peanuts, wenn Banken das Geld ihrer Kunden, von denen sie sich sonst jede Dienstleistung auf den Pfennig genau bezahlen lassen, in den Sand setzen. Aber wenn man die presseüblichen Unterlagen haben will, werden sie pingelig, als ob man ihnen ihre Kronjuwelen abluchsen wollte. Das heißt dann: „Mit großzügiger Unterstützung der DG Bank“ und ist stark untertrieben, denn das Amerika Haus mußte „Stephen Shore Fotografien 1973– 1993“ bei der DG nur buchen. Trotzdem bleibt es ein glücklicher Zufall, den amerikanischen Fotografen parallel zu Thomas Struth sehen zu können.

Auch Shores Straßenfotografie fällt durch das Minimieren des Rauschens auf. Er arbeitet mit einer 20x25-Zentimeter- Großbildkamera, jedoch ohne Vergrößerung. Auf Eins-zu- eins-Kontaktabzügen lichtet er die sensations- und trostlosen Main Streets der amerikanischen Provinz bis in ihre hintersten Winkel ab. Alltagstristesse in Kodacolor: so entstehen allseits bekannte „uncommon places“, wie sie Straßenkreuzungen, Parkplätze, Einkaufszentren und Tankstellen darstellen. Deren Langeweile fügt sich zu einem Puzzle, ähnlich dem auf der gelben Plastiktischdecke, das er 1974 fotografierte.

Shore gehörte eine Zeitlang in den Kreis der Factory von Andy Warhol, und die Pop-art, die in seinen Fotos steckt, unterscheidet ihn stark von Struth. Wenders hat sich ihrer eine Dekade später in „Paris, Texas“ bedient.

Bis 27.1., Mo., Mi., Fr. 11–17.30, Di., Do. 11–20, Sa. 11–16 Uhr, Hardenbergstraße 22-24

Brigitte Werneburg