Welch süßes, häßliches Mädchen

■ Heike kommt, Kristiane geht. O Tragik des Paradigmenwechsels im Pop-TV

Der Sender strahlte schön hell. Es war 1989, da zog er die 23jährige Kristiane Backer ins coole London: der damals hippe Musiksender MTV. Manche munkelten gar, von ihm gingen so starke Kräfte aus, daß er nicht nur unsere gemächliche TV-Wahrnehmung unwiederbringlich durchrütteln würde, sondern als mediale Tendenz bald alle anderen Sender beherrschen würde.

Gott sei Dank moderierte dort unsere deutsche Video-Queen derart unlocker, daß sie beiläufig mithalf, den Trendsender samt seiner sogenannten „Clipästhetik“ zu entmystifizieren.

Auf dem Höhepunkt ihrer perfekten Karriere wurde Kristiane dann 1993 eine wichtige RTL-2- Sendung angetragen. Jugendliche schauen nicht nur täglich Musikfernsehen, hatte man sich dort gedacht, sie lesen auch Bravo und haben sich bestimmt schon lange gefragt, warum es so was nicht im TV gibt.

Zu dieser Zeit mußte in Düsseldorf Heike Makatsch feststellen, studieren ist irgendwie zu langwierig, theoretisch und kreativ sein halt so das bessere Ding. Auch sie wollte zu MTV. Zum Glück war der Weitblick der Londoner Trendspäher bereits getrübt, und sie schickten Heike, nachdem sie das „MTV goes deutsch weekend“ moderieren durfte, wieder zurück nach Köln. Dort begann dann ihre und Vivas untrennbare Erfolgsgeschichte.

Fast täglich verlas Heike Zuschauerpost und plauderte als aufgeweckte große Schwester mit AnruferInnen in einer als „interaktiv“ betitelten Sendung. Erst fanden Viva-Heike alle normal provinziell und ungewohnt unglatt, doch schnell galten genau diese Eigenschaften als furchtbar knorke.

Proportional dazu verlor der schillernde Stern von MTV-Kristiane seine Leuchtkraft. Beide sind polarisierende Medienfiguren: Kristiane verkörpert den kühlen, distinguierten (Claudia-Schiffer-) Typ, und den kann mensch nur schwerlich richtig ins Herz schließen. Heike (Pippi Langstrumpf the next Generation) kultiviert dagegen die Küchentischphilosophie, ist ein Parallelphänomen zum altklug-nervigen Mädchen aus dem Bestseller „Sofies Welt“. Not just another pretty face on the screen, sondern jemand mit Eigenart und Haltung.

Das Leitmotiv für diese gewandelte Wertschätzung hat Bernd Begemann („Rezession Baby“) schon vor Jahren trefflich besungen: „Jeder sieht gut aus, und jeder hat mehr aus seinem Typ gemacht, aber ich sehne mich nach meinem süßen, häßlichen Mädchen.“ Nun ist dieses Mädchen (und ihr Pop- Sender Viva) allgegenwärtig, Kristiane bleibt das Schweigen der Belämmerten, und Heike diktiert es jeder Zeitung in die Schlagzeile: „Ich bin ein bißchen häßlich, ziemlich komisch, aber irgendwie niedlich.“ Und mit dem daran gekoppelten Generation-X-Gerede und dem Görlieh-Humbug hat sie natürlich überhaupt nichts am Shirt, sondern quatscht viel lieber über den Horizont der Trendheinis hinweg, und das identifikationstauglich locker.

Das hat Kristiane nie gekonnt. Sie wollte kein Kumpel sein, hielt sich von Improvisationen fern, blieb unerreichbar schön und brav, stilisiert entrückt wie ihr Haussender. Daß Heike zu ihrem 24. Geburtstag ausgerechnet Kristianes „Bravo-TV“ angetragen wurde, besiegelte den Paradigmenwechsel im Pop-Fernsehen.

Nun mag man einwenden, so ist das eben im Showbusineß, Kristiane entwächst der Sphäre der Jugendlichkeit und will sowieso was Journalistisches machen. Und Heike kommt voll natürlich rüber, leicht chaotisch, aber total spontan und so. Dieser weitverbreitete Defätismus schreit nach Widerspruch: Erstens ist Kristianes „ernsthafter Journalismus“-Ausrede Blödsinn, denn anspruchsvollen Pop-Journalismus gibt es ja im Moment gar nicht. Zweitens vertritt Heike programmatisch fernsehzersetzende Ansichten und überhaupt: Kristiane verläßt uns keineswegs freiwillig.

Zur hundertsten Bravo-Sendung hätten sie noch alle über den „grünen Klee“ gelobt, ja, sie habe Fernsehgeschichte geschrieben. Dann, gerade aus ihrem Urlaub zurück, mußte Kristiane den Zeitungen entnehmen, daß nun die Viva- Göre ihre Position eingenommen hat: „Ich wurde in meinem ganzen Leben noch nie so betrogen wie von Bravo-TV“, klagte Kristiane beim Bild & Funk-Interview. Und das, wo sie doch – wie die Gazetten ebenfalls berichteten – justament von ihrem steinreichen Freund verlassen wurde! Nun wird – am Montag, wie noch zu lesen ist – Kristiane auch noch vom MTV- Schirm verschwinden.

Zuständig für das falsche Spiel mit Kristiane Backer waren Leute wie Produzent Jörg Hoppe. Ach, hätte Kristiane den fiesen Ansichten ihrer Chefs doch nur genauer gelauscht. Hoppe äußerte zum Beispiel in einer Spiegel-Homestory zur Lage des Pop-TVs: „Fernsehen ist wie McDonalds – Niemand braucht es, man pfeift es sich rein, und, wenn es drin ist, dann stößt es heftig auf.“ Und exakt diese ebenso simple wie fatale Mentalität hat sich Naturtalent Heike schon längst zum Erfolgsrezept gemacht. Überall prustet es aus ihr heraus, daß sie „Fernsehen für eine Verblödungsmaschinerie“ und „Bravo-TV“ für „kein Magazin, das die Welt unbedingt braucht“ (Petra 9/95) hält. Im Bildtrickvehikel „Bravo-TV“ ist jetzt also eine größere Televisionentzauberin am Werk, als Kristiane es auf ihre eckige Art sein konnte.

Derlei wäre nie über Kristianes Lippen gekommen, sie blieb perfekte Fassade und hielt sich loyal bis zum Schluß. In ihrer letzten denkwürdigen Bravo-Sendung mußte die Backer („Hähhäh – was reizt dich an meinem Baby, sozusagen?“) sogar die Makatsch („Hihi – ja, das ist echt dein Baby, und ich nehm es mir einfach so“) interviewen. Das war gemeines Fernsehen, doch Kristiane lächelte wacker.

Noch mieser war bei ihrer Verabschiedung das zynische Finale: Promis sagen: „... und tschüß!“ Dazu singt der im Endstadium verfettete Elvis „I did it my way“. Jeder, der Augen hatte, um auf die Mattscheibe zu sehen, durfte mit Kristiane leiden.

Am radikalen Auswechseln der zentralen Modewesen bei „Bravo-TV“ wird deutlich, daß die Hochblüte der Reduktion (also die Sekundenschnitte und Minimalinterviews), die Hegemonie der „Clipästhetik“, für die MTV immer stand, vorbei ist. Das Modell Makatsch, ihre quäkige Dauerpräsenz, ihr kokettes Philosophieren über „Heikes Fernsehwelt“, spielt mit den medialen Zerrüttungsprozessen und kündet von einem hausbackenen Realismusdesign. MTV war die Wunderkiste gemäß dem Slogan „Not on TV, but on MTV“. Viva ist ein alltäglicher Freund, der es gut meint und sein „Ist doch nur Fernsehen“ gegen die mediale Kälte und Distanz raunt.

Doch damit am Ende ein richtiger Fernsehschluß stehen kann, sind bereits die FanpostschreiberInnen aktiv geworden und drohen nun mit Liebesentzug: „Heike go home, Kristiane come back.“

Klaus Kreimeier ist bedingungslos beizupflichten, wenn er Fernsehen lobt als eine „Kulturmaschine, die im Handumdrehen zu jedem Trend den Gegentrend vom Stapel läßt.“

In ihren famous-last-words in „Bravo-TV“ – „I'll be back“ – sprach Kristiane Backer jedenfalls schon mal eine trotzige Drohung aus. Jörg Adolph