Spanischkurse zum Mitreden

Nicht nur Bäume pflanzen zwischen den Unterrichtsstunden: Politische Sprachschulen in Guatemala reden offen über Politik und Morde der Regierung  ■ Von Andrea Stuppe und Achim Metz

Wer hätte John so viel Talent zugetraut? Der 29jährige Amerikaner aus San Antonio/Texas, der mit Seitenscheitel und Hornbrille wie ein penibler Finanzbeamter aussieht, kniet sich in den Dreck, nimmt den Zypressensprößling aus der Plastiktüte, die die kleine Wurzel umgibt, buddelt geschickt ein Loch in den Boden und setzt den Baumwinzling ein. Das wäre geschafft. Auch die anderen Sprachschüler sind eifrig bei der Sache. Schließlich ist die Pflanzaktion, die die Sprachschule Instituto Central América (ICA) in Quetzaltenango anbietet, eine willkommene Abwechslung von der Grammatikpaukerei. Und eine nützliche dazu: Das Ökoprojekt hilft, weitere Erosionsschäden in Guatemala zu verhindern.

Spanisch lernen in dem über 2.300 Meter hoch gelegenen Quetzaltenango, von den Einheimischen nur kurz Xela (sprich: Schela) genannt: das ist doch etwas anderes als die Volkshochschulkurse in Deutschland und selbst als die vielen Sprachkurse in den guatemaltekischen Touristenhochburgen Panajachel am Lago Atitlán oder in Antigua. Die meisten der rund 35 Sprachschulen in der zweitgrößten Stadt des Landes (300.000 Einwohner) vermitteln ihren Schülern nicht nur die spanische Sprache. Von der ersten Unterrichtsstunde an werden die Schüler für die Probleme in Guatemala sensibilisiert – soziale Mißstände, krasse Menschenrechtsverletzungen, ungerechte Verteilung des Bodens, Unterdrückung der Indigena-Bevölkerung. In den Veranstaltungen am Nachmittag bekommen sie dann Informationen aus erster Hand von Indigena- Führern, Gewerkschaftern und Menschenrechtsgruppen. Miguel Morales, ein Maya und Vorstandsmitglied der „Gruppe zur gegenseitigen Unterstützung“ (Grupo de Apoyo Mutuo/GAM), der ältesten Menschenrechtsorganisation Guatemalas, ist extra für eine Diskussion aus der 200 Kilometer entfernten Hauptstadt angereist. Als er von seiner Vergangenheit erzählt, haben viele Sprachschüler einen Kloß im Hals. Morales hat im Bürgerkrieg zwei Brüder verloren. Beide wurden in den achtziger Jahren von Militärs entführt und brutal ermordet. Ihr Vergehen: Sie hatten sich für die Bewohner ihrer Stadt eingesetzt.

„Xela ist ein Ort mit nur wenigen Touristen. Entsprechend gibt es auch mehr Möglichkeiten, Spanisch zu reden“, erkärt Enrique Diaz (37), Direktor von ICA. Während im Hochland von Quetzaltenango vor, nach und im Unterricht über Politik diskutiert wird, ist dieses Thema in den Sprachschulen von Antigua tabu. „Natürlich sind wir eine politische Schule“, sagt Enrique. „Wir wollen unseren Studenten Augen und Herz für Guatemala öffnen. Dieses Land braucht Solidarität, aber keine Touristen, die aus Unkenntnis ständig die Regeln der Indigena-Bevölkerung verletzen.“

Für seine Ideale hat der dreifache Familienvater bereits viel riskiert. Als die Militärs Anfang der achtziger Jahre das Land mit einer Welle der Gewalt überrollten, hatte Enrique keine andere Wahl: „Wir mußten die Schule, die seit 1976 besteht, für mehrere Jahre schließen.“ Die Hälfte der ICA- Lehrer flüchtete über Nacht aus dem Land, Enrique aber blieb. 1986 startete er mit seiner Frau Yuly einen Neuanfang, heute beschäftigt er 25 Männer und Frauen (davon drei Indigenas), die mindestens den Studienabschluß als Grundschullehrer besitzen. Sie kennen sich nicht nur in Sachen Grammatik und Vokabeln aus, sondern wissen vor allen Dingen um die Probleme in Guatemala.

„ICA will den Studenten Qualität im Unterricht bieten, das wahre Gesicht des Landes zeigen und die Schüler an verschiedene Projekte heranführen“, bringt Enrique die ICA-Philosophie auf den Punkt. Rund 70 Familien werden durch die Schule unterstützt – die der Lehrer und die Familien, in denen die Studenten wohnen und essen.

Für die Projekte hat die Schule eine eigene Organisation ins Leben gerufen: die ICAmigos. Und die „Freunde von ICA“ unterstützen mehrere Hilfsprogramme. So engagieren sie sich seit vier Jahren für die Wiederaufforstung rund um Xela, finanzierten alleine 1994 den Anbau von rund 80.000 Pflanzen. Und dabei halfen Schüler und Ex-Schüler kräftig mit – wie John, der Amerikaner. Einige Studenten arbeiten als Freiwillige mehrere Wochen in der Wiederaufforstung nahe der Stadt.

In Cabricán, einem Dorf 44 Kilometer nördlich von Quetzaltenango, bezahlen ICAmigos vier Lehrer, damit eine zweisprachige Schulbildung sichergestellt wird. Die Mehrzahl der einheimischen Kinder spricht die Maya-Sprache Mam, versteht aber kein Wort Spanisch. Lehrer, die von der Regierung in diese abgelegenen Regionen Guatemalas geschickt werden, sprechen wiederum nur Spanisch, aber kein Wort Mam. Das Ergebnis: eine Analphabetenrate von 64 Prozent in Guatemala. Viele Schüler bleiben sitzen, schwänzen den Unterricht oder brechen die Schule frühzeitig ab. „Mit der bilingualen Erziehung können wir den Kindern eine Ausbildung bieten, die mit ihren Traditionen und ihrer Kultur übereinstimmt“, sagt Nery Martinez, Lehrer bei ICA und Vorsitzender von ICAmigos. „Kein Schüler hat bislang unser Schulprojekt vorzeitig verlassen.“

Auch in Cabricán können Sprachstudenten mitarbeiten – als Ofenbauer. ICAmigos bemühen sich seit Dezember 1993, den enorm hohen Brennholzverbrauch der Familien, einer der Hauptgründe für die Abholzung, einzudämmen. 60 Öfen, die die Hitze nicht so schnell verlieren wie offene Feuer und auf denen zudem besser gekocht werden kann, wurden in der Zwischenzeit konstruiert. Der Holzverbrauch sank um rund 50 Prozent.

Engagiert sind die „Freunde von ICA“ auch im Verkauf von Handarbeiten. Zweimal im Monat kommen vier Frauengruppen aus den kleinen Dörfern der Umgebung zur Schule. Alle sind Witwen, haben im seit 35 Jahren andauernden Bürgerkrieg ihre Männer verloren. Jetzt finanzieren sie mit dem Verkauf von selbstgenähten Hemden, Hosen und Beuteln ihr Leben.

Die ICA-Aktivitäten fördern nicht nur die Sprachkenntnisse der Schüler. Bernie, ein 22jähriger Schweizer aus Zürich, der nach drei Wochen Sprachunterricht als Freiwilliger mehrere Wochen Bäume pflanzte und Öfen baute: „Ich hatte von der politischen Situation in Mittelamerika und von den alltäglichen Problemen der Menschen keine Ahnung. Jetzt kann ich nicht nur Spanisch sprechen, sondern auch mitreden, wenn es um Guatemala geht.“

Instituto Central America (ICA): In Quetzaltenango (300.000 Einwohner) bieten rund 35 Schulen Sprachunterricht an. Unterrichtet wird jeweils fünf Stunden am Tag – wahlweise vormittags oder nachmittags. Die Kosten für die Schule – inklusive Unterbringung in einer einheimischen Familie – belaufen sich auf 100 US-Dollar pro Woche. In der Hochsaison (Juni–August) werden 20 Dollar mehr berechnet.

Kontaktadresse in Quetzaltenango: ICA, 1a Calle 16-93, Zona 1, 09001 Quetzaltenango, Guatemala, C.A.; Kontaktadresse in Deutschland: ICAmigos, P. Frantzen, Heegbarg 21, Hamburg, Tel. (040) 6022348.