Erst nehmen wir Manhattan...

Tina Brown, die Chefin des „New Yorker“, ist eine der mächtigsten Frauen der literarischen Welt. Sie schockiert die amerikanischen Intellektuellen durch eine Feminismus-Sondernummer des ehrwürdigen Magazins  ■ Von Maureen Freely

Wenn ich erzähle, daß ich über Tina Brown und ihren Mann Harold Evans schreiben will, gleichen die spontanen Reaktionen einander so sehr, daß ich mich frage, ob meine Interviewpartner alle dieselbe Nachricht auf Band erhalten haben. „Was willst du? Bist du verrückt? Hast du dir auch überlegt, was das für deine Karriere bedeutet?“ Die nächste Reaktion ist gleichermaßen stereotyp. Wie bei Ehebrechern, die ihr Geheimnis nicht länger wahren können, platzt es aus ihnen heraus: „Ich sag' dir was. Ganz unter uns, jedenfalls darf man es mir nicht anhängen können. Und hör mal, man darf uns nicht zusammen sehen...“

Königin Tina und König Harry üben einen fast übernatürlichen Einfluß auf ihre einstigen und jetzigen Untertanen aus. In New York gibt es dafür ein Wort: Synergie. Tina Brown ist die Herausgeberin des New Yorker, der heftig umstrittenen Heimstätte der schreibenden Elite; Harry Evans dagegen ist der Verlagschef von Random House, Manhattans renommiertestem Literaturkonglomerat. Gemeinsam verkörpert dieses so überaus britische Pärchen das einflußreichste Gespann im internationalen Buchgeschäft – zumindest wird es dafür gehalten. Dabei handelt es sich bei ihnen nicht nur um eine Ehe, sondern auch um eine Fusion, in der Tina Brown die Rolle der erfolgreich öffentlich agierenden Generaldirektorin einnimmt. Ein Literaturagent faßte es folgendermaßen zusammen: „Dieser Tage in New York über Tina Brown zu reden, das ist fast so, als spräche man über Stalin.“

Wie unter allen derartigen Regentschaften ist die Zahl der Gerüchte Legion. Stimmt es, daß Tina Brown wie die Königin niemals Geld bei sich führt? Daß sie die für ihren prunkvollen Lebensstil berüchtigte Annie Leibovitz gezwungen hat, Touristenklasse zu fliegen, als sie von ihr nach L.A. geschickt wurde, um jedermann zu fotografieren, der mit dem Prozeß gegen O.J. Simspon zu tun hatte, selbst Nicoles Hund? Daß sie von Nurejews Tod hörte, als sie gerade an den letzten Korrekturen zu einem Artikel über den Ballettänzer saß, die Nachricht mit einem Lächeln quittierte und „Großartig!“ in den Hörer flüsterte?

Eine der unwahrscheinlichsten Geschichten allerdings wird Wirklichkeit. Sie begann mit einem schwärmerischen und vielleicht etwas zu gedankenvollen Porträt, das der New Yorker Theaterrezensent John Lahr im Juli über die Fernsehkomikerin Roseanne Barr verfaßte. Tina Brown hatte offenbar noch nie zuvor von Roseanne gehört (ein Herausgeber sagte einmal, Tina sei weder besonders belesen noch besonders besehen), doch beschloß sie, verlorene Zeit wettzumachen und sich mit dem Star der Fernsehsendung anzufreunden.

Nach einem sicherlich ausgelassenen Nachmittag in Roseannes Gesellschaft entschied Brown, daß es erfrischend sein müsse, dem ernsthaften Feminismus der New Yorker Szene etwas entgegenzuhalten, ihm gar Roseanne Barrs bilderstürmerische Stimme beizumischen, und daß der beste Weg, sie zu Gehör zu bringen, sicherlich der wäre, Roseanne zur Gastredakteurin für die von Brown geplante Sonderausgabe über Feminismus zu machen.

Der daraufhin ausbrechende Skandal hatte unter anderem zur Folge, daß mehrere etablierte Autoren des New Yorker die Zeitschrift verließen, da sie mit einem Leitartikel in der New York Times gleicher Meinung waren, in dem es hieß: „Es hat etwas Unangenehmes an sich, wie diese Rabelaissche Rampengöre in ein feministisches Ideal verwandelt wird. Roseanne steht für etwas ein, das Frauen mit Selbstachtung zuwider sein sollte: tyrannisches Benehmen, das Herumkommandieren von Schwächeren, eine Liebe zur Macht, die sich als Streben nach Gleichheit ausgibt...“

In den drei Jahren, seit Tina Brown das Magazin herausgibt, ist dies der vorläufig letzte Krach in einer Reihe von Konfrontationen zwischen ihr und Manhattans intellektuellem Establishment. Die Ursache der Kontroverse liegt vor allem in dem, was man ihr (und Harold) als „typisch britisch“ ankreidet, laut New York Times aber besonders im „Import britischer Standards für den Journalismus, sprich: dem Fehlen jeglichen Standards“.

Zu den weiteren Konsequenzen der „Roseanne-Affäre“ gehört allerdings, daß Barrs Feminismus- Ausgabe des New Yorker weit ungeduldiger erwartet (und weit besser verkauft) wird als jede andere Ausgabe der Zeitschrift.

Die Geschichte von Browns Weg zur Macht ist voll von solchen „Kontroversen“. Als Tochter eines unbedeutenden britischen Filmproduzenten und einer Presseagentin liegt ihr die Selbstreklame im Blut. In Oxford spielte sie die Rolle des weiblichen Don Juan – und gar nicht mal schlecht. Sie hatte eine Affäre mit Martin Amis, eine weitere mit Tony Palmer, und es hieß, sie hätte einmal behauptet, daß sie nur mit einem Mann schlafen könne, dessen Prosa sie auch bewundere. (Danach startete sie eine eindrucksvolle Kampagne mit dem Ziel, Evans, den Chefredakteur der Sunday Times, zu verführen, der 26 Jahre älter als sie und in festen Händen war.) Mit 25 übernahm sie die Leitung des erfolglosen Hochglanzmagazins Tatler und vervierfachte die Auflagenzahl, in dem sie sich über eben jene Leser lustig machte, denen sie ihr Magazin verkaufen wollte. Als Evans von Rupert Murdoch als Chefredakteur der Sunday Times geschaßt wurde, zog das Paar nach New York, wo Brown vom Condé-Nast-Mogul S.I. Newhouse (auch unter dem Namen „Si“ bekannt) rekrutiert wurde, um das kränkelnde Vanity Fair zu retten. Nach einigen Eklats, mit denen sie in den Klatschspalten reüssierte, unter anderem, weil sie die schwangere Demi Moore nackt auf dem Titelblatt brachte und einen in Sado-Maso-Leder gekleideten Claus von Bülow zeigte, gegen den gerade die Anklage des versuchten Mordes an seiner Frau fallen gelassen worden war, bekam Brown den höchsten (und unerwarteten) Preis zugesprochen: die Chefredaktion des Flaggschiffes von Newhouse, des New Yorker – seit 50 Jahren die olympische Heimstatt der Literatur. Seither dreht sich das Gerede um Browns New Yorker zumeist um einen Kulturkonflikt.

Da waren die kleinen Dinge der amerikanischen Kultur, die Brown und ihre britischen Zöglinge nicht kannten – noch heute lachen die Leute über einen Artikel von Alexander Chancellor (jetzt wieder in England beim Sunday Telegraph), der mit großen Augen sein Entzücken über den Rockefeller- Weihnachtsbaum beschrieb –, und die großen Dinge, die sie nicht verstanden, etwa jene Exzesse, in denen es um Sex, Gewalt, Neureiche und Hollywood-Mogule ging, weshalb sich gebildete Amerikaner den New Yorker kauften, um dergleichen vergessen zu können. Doch so manch ein altmodischer New Yorker warf Tina vor allem vor, daß sie sich weigerte, den amerikanischen Anstandskodex der Intelligenzija zu respektieren.

Sooft sie auch ein Tabu brach (und in der so überaus vornehmen Welt des New Yorker konnte da bereits ein neuer Schlagzeilenschrifttyp ausreichen), wüteten ihre Kritiker dermaßen aufgebracht gegen ihre „Taktiken der Sensationspresse“, als verkörpere sie König George, der ihnen übermäßig besteuerten Tee aufzwingen will. Ihr Vorgehen in der „Affäre“ Roseanne Barr war für manchen New Yorker einfach der Gipfel. Als Ian Frazier, Starautor des New Yorker, die Nachricht von der neuen Gastredakteurin erhielt, faxte er Tina seine Kündigung und verweigerte danach jeden weiteren Kommentar. Als ich ihn letzte Woche in Montana ausfindig machen konnte, beharrte er darauf, daß ihm diese Entscheidung sehr schwergefallen sei, da er Tina gern habe und sie bewundere und ihn außerdem der Gedanke bestürze, ihr weh tun zu müssen. Doch er sagte auch: „Sie hat in dieses Land den Gedanken vom ,schwatzenden Stand‘ eingeführt. Als ich zum ersten Mal diesen Begriff las, den ich noch nie zuvor gehört hatte, dachte ich: ,Au Backe, Moment mal, diesem schwatzenden Stand will ich nicht angehören. Lieber würde ich Rohre verlegen.‘“

Wie so manch ein etablierter Star des New Yorker – Garrison Keillor etwa, Autor des berühmten „Lake Wobegon“, der die Zeitschrift letztes Jahr unter ähnlichen Umständen verlassen hat – war Frazier davon enttäuscht, wie bedenkenlos Tina Brown Schund und Literatur miteinander vermengte.

„Die Leute kamen zu mir und sagten: ,Ihre Zeitschrift hat ein Interview mit einem nackten Arsch geführt‘, und ich mußte ihnen antworten: ,Na ja, zu meiner Zeit haben wir Interviews mit Ärschen geführt, die diskret gekleidet waren.‘“ Eine andere Sache, mit der er nur schwer zurechtkam, war Browns von ihm so genannte „Hollywood-Attitüde“. „Sie hörte sich an wie der Komiker Jackie Gleason, wenn sie rief: ,Besorgt mir 20 Schriftsteller!‘ oder: ,Der Schluß ist fürchterlich!‘“

Frazier und Brown lieferten sich

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am Telefon eine fürchterliche Szene, als sie sein Fax in Händen hielt. „Sie behauptete, Roseanne Barr sei phantastisch und originell“, sagte er, „und daß es für einen talentierten Menschen nicht ungewöhnlich sei, ein wenig einem Monster zu ähneln, und da habe ich ihr gesagt: ,Weißt du was, Tina? Ich habe auch ein bißchen Ähnlichkeit mit einem Monster. Aber es ist einfach nicht mein Job, andern Monstern den Hintern zu lecken.‘“ Er wußte nicht, ob sie ihn verstanden hatte. „Tina redet so schnell, da kommt man sich vor, als würde man beim Black Jack verlieren. Wenn ich eine Antwort einschieben kann, fühle ich mich, als hätte ich André Agassis Aufschlag pariert.“ Er gibt allerdings zu, daß sie sich in dieser Hinsicht nicht sonderlich von William Shawn unterscheidet, jenem legendären Chefredakteur, unter dem er den größten Teil jener 21 Jahre gearbeitet hat, in denen er für den New Yorker schrieb. „Sie haben beide immer das lückenlose Skript für die Auseinandersetzungen verfaßt. Sie haben ihre Zeilen und sie haben deine Zeilen geschrieben. Und wenn du von ihrem Text abweichst, sehen sie dich einfach nur an und sagen: ,Wie bitte?‘“ Browns öffentliche Reaktion auf Fraziers Abgang war ein Schulterzucken; sie sagte: „Der kommt schon wieder.“ Das macht ihn noch wütender. „Sie sagt das so leichthin; sie behauptet, alle kommen sie wieder, aber das stimmt nicht. Viele sind nicht zurückgekommen. Garrison Keillor ist nicht zurückgekommen.“

Aber inzwischen gewinnt Tina Brown die Medienschlacht. Und seit es ihr wieder einmal gelungen ist, den New Yorker zum Stadtgespräch zu machen, sieht es auch ganz so aus, als ob die Sonderausgabe zum Thema Feminismus letztlich doch nicht ganz so bilderstürmerisch ausfällt wie befürchtet. Zum streng geheimen Vorbereitungstreffen kamen die meisten der intellektuellen und höchst strapazierfähigen Talente des inneren Zirkels des New Yorker zusammen. Roseanne Barr wird eine ziemlich schwere Zeit vor sich haben, wenn sie nicht bald dahinterkommt, wie man witzige Einzeiler mit unausgesprochenen Nebenbedeutungen anbringt.

Seltsam an dieser Geschichte ist allerdings auch, wieso die New Yorker immer noch derart überrascht auf Browns Überraschungen reagieren. Unter anderem liegt die Antwort wohl in der Eigenart dieser Institution begründet. Für viele Kritiker von Tina Brown ist der New Yorker in erster Linie keine Zeitschrift, sondern Ausdruck eines Lebensstils. Zu Shawns Zeit (er gab die Zeitschrift von 1952 bis 1987 heraus) konnte ein vielversprechender Autor sich auf ein oder zwei Jahrzehnte freuen, die er mit wenigen Auserwählten im Büro vertrödeln durfte, um gelegentlich einen brillanten kurzen Artikel zu schreiben, und zwischenzeitlich seinen originellen Standpunkt zu entwickeln. Nichts mußte schlagzeilenkräftig sein, so wird behauptet, und die Leute hatten Zeit nachzudenken, zu lesen und konnten einen Wettstreit um den Satz mit den meisten Worten führen, die ihr anspruchsvoller Lektor in seiner Zeitschrift nicht sehen wollte. (Gewonnen hat der Satz: „Fasziniert vom Foto des glatzköpfigen, feisten Tycoons mit dem massigen Schädel, kam Tom Wolfe am Pissoir mit seinem Dings nicht klar.“)

Ein ehemaliger Mitarbeiter erinnert sich, daß an seinem ersten Tag bei der Zeitschrift vor 25 Jahren das Rechercheteam (diese höchstgebildete, für die verité des Magazins verantwortliche Truppe) einen Aufstand machte, weil es zum ersten Mal ein Inhaltsverzeichnis geben sollte. Als er nahelegte, daß ein derartiges Verzeichnis nützlich für jene Leser sein könnte, die sich über die Zeitschrift orientieren wollten, lautete ihre Antwort: „Was geht die denn das an?“ Doch diese Geschichte vergangener Leiden ist nur einer der Gründe, warum manche Leute so schockiert auf Tina Brown reagieren. Ausschlaggebend scheint vielmehr ein fundamentales Mißverständnis über ihren Modus operandi zu sein. Warum, so wurde ich gefragt, ist sie so versessen darauf, die Stories als erste zu bringen? Warum diese Angst, langweilig zu sein? Warum ist sie so scharf darauf, unbedingt tolle Ausgaben machen zu wollen? Warum diese Nachsicht mit Unruhestiftern? Warum dieser Respekt für das Unverschämte?

Als ich andeutete, daß sie so sei, weil alle britischen Chefredakteure so sind (nicht nur die der Sensationspresse), da starrten mich meine geheimen Informanten schlicht nur ungläubig an. Es mußte doch einfach mehr hinter dem rücksichtslosen Benehmen der Chefredakteurin des New Yorker stecken.

In den Augen der Öffentlichkeit steht Harry Evans längst im Schatten seiner Frau. Angeblich wird er sogar von dem Angestellten, der morgens den Wagen vorfährt, mit „Mr. Brown“ angeredet. Angesichts solcher und ähnlicher Informationen deuten manche Beobachter Tinas jüngstes Interesse für Feminismus als ein Zeichen dafür, daß sie auf Harry wütend ist und versucht, sich von ihm zu lösen, obwohl er sie doch in mancher Hinsicht erst „geschaffen“ hat. Manch einer glaubt auch zu wissen, daß Evans seine Blicke wandern läßt, doch gibt es wohl kaum einen Beleg für einen tatsächlichen Fehltritt. Die Leute, die bei Random House mit Evans zusammenarbeiten, fragen sich, wo er denn die Zeit für eine Affäre hernehmen wollte. „Sein Terminkalender ist so voll, da hätte er kaum Zeit, in seiner Limousine noch einen Quickie hinzukritzeln.“

Und Browns Mitarbeiter, die sehen, wie Tina Brown den ganzen Tag arbeitet, zu Mittag ißt und um sechs Uhr zu ihrem kleinen Jungen und ihrer Tochter nach Hause fährt, die sagen: „Blödsinn.“ Sie arbeitet nicht nur bis spät in die Nacht, sobald sie die Kinder zu Bett gebracht hat, sie steht auch noch um halb sechs auf, um in ein Sportstudio zu fahren und sich fit zu halten. Ihre Untergebenen fragen sich bloß, wann sie eigentlich Zeit zum Schlafen findet.

Kritiker auf die eigene Seite zu ziehen ist eine klassische Brown- Evans-Taktik. Als vor zwei Jahren ein besonders bissiges Porträt von Tina Brown im Magazin der New York Times erschien, warb sie einfach den verantwortlichen Redakteur für ihre eigene Zeitschrift ab. Ähnlich ist der starke Verkehr zwischen dem Büro des New Yorker in

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der West 43rd Street und Random House in der East 50th zu erklären. Wenn alte Hasen den New Yorker verlassen – wie etwa Robert Gottlieb, Browns Vorgänger auf dem Posten der Chefredaktion –, dann übernehmen sie häufig einen Job bei Evans an der East Side. Oft wird gefragt, ob es sich hierbei um eine neue Mafia handelt. Oder ob man nur versuchte, nett zu sein. Die Tatsache, daß niemand so recht weiß, warum Tina und Harry tun, was sie tun, und was sie als nächstes tun, macht sie jedenfalls für Si Newhouse so überaus nützlich. Wie lange kann man diesen Drahtseilakt der Öffentlichkeitsarbeit aushalten? Zur Zeit grassieren Gerüchte in New York, denen zufolge Brown die Zeitschrift verlassen will, um einen Job in Steven Spielbergs neuer Filmgesellschaft DreamWorks anzunehmen. Ein alter Bekannter sagte zu mir, Hollywood wäre der logische und einzig mögliche nächste Schritt. „Sie hat eine höchst clevere Doppelrolle gespielt – sie hat sich über die Elite lustig gemacht und sich zugleich bei ihr eingeschmeichelt, bis sie merkte, daß sie dazugehört. Sie hat zu lange im dreckigen Wasser gelegen, um sauber sein zu können.“

Doch solche Gerüchte lassen außer acht, daß Brown und Evans auch nur Angestellte sind. Si Newhouse ist berühmt dafür, wie rasch er sich von ungewollten Spießgesellen trennen kann. Wenn er der Meinung ist, daß sie für ihn zur Belastung werden, könnte und würde er sie noch morgen im Stich lassen. Falls Profit sein einziges Motiv ist, steckt zumindest Tina Brown in Schwierigkeiten. Insider bezweifeln, daß der New Yorker jemals schwarze Zahlen schreibt. Noch scheint es Si recht zu sein, daß Brown und Evans seine rassige Errungenschaft so „heiß“ aussehen lassen. Dehalb auch die Superautoren (der letzte in einer langen Reihe ist Colin Powell, dessen Lese-Wahlkampagne von Evans durchgeführt wurde), die die literarischen Autoren bei Random House ins Abseits drängen. Wichtig als große Anzeigenmagnete sind in diesem Zusammenhang auch die Sonderausgaben über Mode wie über Feminismus, die dem New Yorker zu einem größeren und jüngeren Publikum verholfen haben.

Doch selbst im Erfolg läuft die Zeitschrift Gefahr, ihr Kapital zu verlieren. Wie Ian Frazier beschrieb, schuf der alte New Yorker für seine Schriftsteller einen „luftleeren Raum“, der sich als Zufluchtsort der Elite präsentierte. Hier seid ihr sicher, wurde ihnen ständig von William Shawn suggeriert, geht ihr in die wirkliche Welt hinaus, werden euch die Geier fressen. Für Frazier war es daher eine ziemliche Überraschung, als er nach seinem Fortgang feststellte, daß der Markt weder so philisterhaft noch so halsabschneiderisch ist, wie er vermutet hatte. „Da draußen gibt es viele gute Redakteure. Und ich gehöre keinem von ihnen.“ Außerdem empfindet er es als Erleichterung, dem Zwang zur Größe entkommen zu können. „Beim New Yorker hast du vor deiner Schreibmaschine gesessen und dir gesagt: ,Ich bin kein Yeats.‘ Das war ziemlich deprimierend, aber jetzt sage ich mir: ,Nein, ich bin kein Yeats, aber ich sitze trotzdem vor meiner Schreibmaschine.‘ Schreiben ist wie Angeln. Wer weiß, vielleicht fange ich was. Barbara Bush hat 850.000 Dollar mit einem Buch verdient, das sie aus der Perspektive ihres Hundes geschrieben hat. Wenn die das kann, dann schaffe ich das vielleicht auch.“

Mit anderen Worten: Brown hat ihm einen Gefallen getan. Wenn sie und Evans allen anderen Schriftstellern, mit denen sie zusammenarbeiten, denselben Dienst erweisen, wenn sie die alte Garde amerikanischer Literatur von ihrer Angst vor dem freien Markt befreien könnten und sich zugleich weigerten, eine neue Garde zu verhätscheln, dann bringen sie die Dinge vielleicht so weit in Schwung, daß es zu einer neuen literarischen Renaissance in New York kommt. Aber da liegt der Haken. Denn dank ihrer Methode können sie ihren Fang nicht behalten, ihr milliardenschwerer Boss allerdings ebensowenig. Doch ist dies nicht das Unhappy-End, das sie sich gewünscht haben. Um also weiterhin Erfolg zu haben, um weiterhin auch nur den Eindruck von Erfolg zu erwecken, müssen Brown, ihr Gemahl und ihr nachsichtiger „Super-Daddy“ dem Spiel stets um einen Schritt voraus sein – daß ihnen dies mit großem Flair gelingt, haben sie immer wieder bewiesen. Bloß ist für Tina und damit für den New Yorker das Spiel selbst das Problem. Von außen gesehen scheint es ihr gelungen zu sein, sich eine Reihe großartiger Sachen an Land zu ziehen, die ihr jedoch keine Zeit zum Nachdenken lassen. „Sie versteht es hervorragend, Entscheidungen ipso post facto zu begründen, Entscheidungen, die sie in hektischer Eile gefällt hat“, sagte einer ihrer Mitarbeiter. Dies könnte den Eindruck einer inneren Leere wecken. „Es hat Situationen gegeben, da hätte ich sie am liebsten bei den Schultern gepackt und sie gefragt: ,Was willst du, Tina? Was interessiert dich denn?‘“ Das große Rätsel für jeden, der Tina Brown schon gekannt hat, als sie noch keine 30 war, liegt in der Frage verborgen, warum sie nicht selbst schreibt. „Sie war sehr, sehr gut“, erinnert sich eine alte Klassenkameradin. „Sie hatte einen scharfen Blick und einen mörderischen Stil. Doch irgendwo auf ihrem Weg muß ihr klar geworden sein, daß sie nicht die beste Autorin ihrer Generation sein würde, und so beschloß sie, ihr Leben der Förderung anderer Schriftsteller zu widmen. Ich halte sie für einen Menschen, der sich für die Macht und gegen die Kunst entschieden hat.“ Doch wozu soll die Macht genutzt werden? Vor Browns Ankunft war der New Yorker erstarrt. Jetzt dreht er sich im Kreis, hetzt Sensationen hinterher. Das mußte einfach geschehen, wollte die Zeitschrift den Übergang ins nächste Jahrhundert überleben. Doch das eigentliche Problem mit Brown liegt darin, heißt es, daß sie den nächsten Schritt nicht vorhersieht. So erzählte mir ein Mitarbeiter aus ihrem Stab: „Ein Chefredakteur mit einem Spielplan würde an sich reißen, was Tina geleistet hat, um damit zu Höchstform aufzulaufen, würde den New Yorker wirklich wieder in etwas Einzigartiges verwandeln.“ Doch Brown ist für diese Aufgabe nicht die Richtige, und sie ist daran wohl auch nicht sonderlich interessiert.

Die Zukunft bleibt also ungewiß. Niemand weiß, welchen Zug Brown als nächstes macht und ob Harry noch mitziehen wird. Sicher ist nur, wenn sie geht, dann wird das literarische New York nie wieder so sein, wie es einmal war.

Das wurde mir besonders deutlich in einem Gespräch mit einem meiner anonymen Oldtimer. Er schalt mich, weil ich meinen amerikanischen Stil vergessen hätte, weil ich zu britisch geworden war, mich zu leicht mit schrillem Widerspruch und spritziger Prosa abfinden und dieses „Der Meute immer einen Schritt voraus sein“ gutheißen würde. Es sei doch nicht wichtig, ständig auf die neueste Sensation zu reagieren, sagte er. Ich solle mich zurücklehnen, nachdenken und nur auf das achten, was wirklich wichtig sei. Aber er konnte seinen eigenen Ratschlag nicht befolgen. Alle fünf Minuten erinnerte er mich daran, daß er auf Nachricht von seinen Spionen warte, die ihn über Browns neuesten Trip nach Hollywood auf dem laufenden halten sollten und deren Berichte längst überfällig waren. Wie ein verlassener Liebhaber starrte er auf das Telefon und seufzte: „Warum klingelt es denn nicht?“

qObserver

Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Robben