Im Rausch der Tiefe

Jochen Hasenmayer ist gelähmt und nicht ganz normal: Im U-Boot taucht er durch die Blautopf-Höhlen  ■ Von Matthias Mantzen

Wenn der nette Herr aus der Etagenwohnung sich im Rollstuhl die Treppen hinaufmüht – mit einem elektrischen Raupenfahrzeug –, trifft er Hausbewohner, die ihn freundlich grüßen: „Grüß Gott, Herr Hasenmayer!“ sagen sie. Und stehen, wenn sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, noch im Flur. Sie wissen nicht recht, ob sie Mitleid haben sollen – oder Hochachtung oder beides.

Denn ihr Mitbewohner in jenem Haus in Birkenfeld bei Pforzheim, der querschnittgelähmte Höhlentaucher Jochen Hasenmayer, tut Dinge, die andere nicht tun würden, selbst wenn sie zehn gesunde Beine hätten.

Hasenmayer hat Tauchgeschichte geschrieben. Seit seinem 17. Lebensjahr verbringt er mit nichts anderem seine Zeit, als sich in Gummianzüge zu zwängen und ins kalte Wasser zu springen. Kaum eine Wasserhöhle dieser Erde, die er nicht kennt – wenn er sie nicht gar selbst entdeckt hat. 200 Höhlen und Höhlenfortsetzungen hat er als erster Mensch erreicht. Kein anderer tauchte länger, tiefer, und kein anderer hat sich wissenschaftlich so in den Fels hineingebissen wie der heute 54jährige Schwabe.

Vor sechs Jahren schien alles vorbei. Als Hasenmayer nach einem Tauchunfall im österreichischen Wolfgangsee querschnittgelähmt blieb, dachte niemand mehr ans Tauchen – außer ihm.

Jetzt geht das schon wieder los: Ab morgen ist Hasenmayer wieder in seinem Element. Der Kerl setzt sich tatsächlich in ein selbstgebautes Höhlen-U-Boot und verschwindet im Blautopf bei Blaubeuren, Baden-Württemberg, um weiter in das Höhlensystem dort einzudringen als jemals ein Mensch vor ihm. Normal ist das nicht.

Jahrelang hat er auf diesen Moment hingearbeitet. Hat in einer Garage mit dem genialen Techniker Konrad Gehringer ein Boot entwickelt, das die Welt noch nie sah. Und wären Rädlein dran, man hielte es für eine Seifenkiste. Das Ding ist der Hammer.

Lautlos schwebt es im Wasser, dreht seine Schnauze um Millimeter in die Richtung, in die der Kapitän es haben will, stellt sich senkrecht, fährt rückwärts, legt sich auf die Seite und saust davon. Jeder Höhlentaucher, der von diesem Sonntag an noch einen Gummianzug anzieht, ist absolut altmodisch.

Hasenmayer sitzt in seinem „Speleonauten“ völlig trocken und ohne Maske atmend. Mit einem Joystick steuert er seine neun Motoren, und Kameras liefern ihm auf einem winzigen Monitor die Bilder seiner nächsten Umgebung. Dann lacht er noch. Und ist weg. Verschwunden im Blautopf, der so heißt, weil er so aussieht. Ganz unten, so zwanzig Meter tief, öffnet sich das Loch zur Höhle. Warum es hauptsächlich immer Männer sind, die in diese schwarzen Löcher von Mutter Erde hineinkriechen wollen, ist ein anderes Feld. Lassen wir die Psychoanalytiker heute mal zu Hause. Für die Erklärung des Phänomens Hasenmayer taugen sie nur wenig. Hier interessiert mehr das Bewußte.

Hasenmayer hat eine Theorie, die nicht blöd ist. Sie ist sogar so genial, daß keiner sie glaubt, jedenfalls keiner von denen, die sich als amtliches geologisches Gewissen in diesem Land verstehen. Sie ist aber ein wenig kompliziert, und man zögert, sie den taz- Lesern vorzustellen. Aber tut man es nicht, glauben sie am Ende noch, der Hasenmayer spinnt.

Also: Die Schwäbische Alb ist ziemlich alt und war einmal viel größer, als sie heute aussieht. Sie stand Millionen von Jahren in der Landschaft herum (140 Millionen Jahre, aber seien wir nicht pingelig) und fing an zu bröseln. Nicht nur außen, auch innen löste sie sich allmählich auf, weil ihr Kalkstein wasserlöslich ist. Und jedes Kind weiß, was der stete Tropfen tut. Es bildeten sich in ihrem Untergrund Hohlräume, durch die das Karstwasser hindurchfloß und die Gänge immer mehr erweiterte. Die Alb, einmal gedanklich aufgeschnitten, sieht innen deshalb aus wie ein Schweizer Käse.

Nun war vor 25 Millionen Jahren in Süddeutschland etwas mehr los als heute unter der Großen-Koalitions-Regierung. Es bebte und es wackelte die Erde. Die Alpen erhoben sich gegen den Himmel, falteten sich in die Höhe und begruben einen großen Teil der schönen Schwäbischen Alb unter sich. Den Rest kann man sich denken: Die Höhlen liegen heute tief unter der Erdoberfläche, so tief, daß ihr Wasser dementsprechend heiß ist.

Da hätte eigentlich auch ein Professor drauf kommen können. Aber denen mußte Hasenmayer erst einmal beweisen, daß die Höhlen viel älter sind als bisher angenommen. Aus diesem Grund ist Hasenmayer vor genau zehn Jahren schon einmal in die Blauhöhle getaucht und hat im Erdinnern eine Halle entdeckt, die so groß ist, daß ein halber „Hertie“ hineinpaßt: 120 Meter lang, 30 hoch und 30 breit. Da staunte die Fachwelt, und der Landtag debattierte – aber mal bohren und das heiße Wasser zur Energiegewinnung nutzen tat keiner.

Man kanzelte ihn ab als „Messner unter Tage“. Dabei brach in Bayern der Bohrer bei der Erdölsuche schon oft in Hohlräume ein, viel öfter, als daß man noch von Zufall reden könnte. Wer ist da wahnsinnig? Ganz Süddeutschland brauchte keinen Atomstrom mehr, Heißwasser im Überfluß, und niemand nutzt es.

Mit seiner neuesten Höhlenfahrt will Hasenmayer diese Diskussion wiederankurbeln. Wenn es ihm gelingt, die Altersbestimmung noch genauer zu datieren und in noch größere Räume vorzudringen, wird sich das Geo(un)logische Landesamt etwas Gutes einfallen lassen müssen.