■ Kultusministerkonferenz – ein außerirdisches Treffen
: Schule ohne Schüler

Oberstufenschüler würden sogar das Telefonbuch auswendig lernen, wenn man ihnen dafür Punkte im Abitur verspricht. Andererseits wird überall die neue Tugend „Selbständigkeit“ verkündet, denn mit dem braven „Mutti, welches Bild soll ich jetzt malen?“ wird die Erfindung einer nachindustriellen Gesellschaft nicht gelingen. So fordert selbst Herr Kohl eine „Kultur der Selbständigkeit“. Aber wo soll sie herkommen? Von den Kultusministern jedenfalls nicht. Die sind immer noch davon überzeugt, daß man Schülern nicht über den Weg trauen darf, und erlassen Vorschriften für den Kultus des Mißtrauens namens Schule.

Dabei sind sich inzwischen so ziemlich alle, die Schulen kennen, einig. „Der Auswanderungsprozeß der Schüler aus den Schulen hat begonnen“, alarmierte kürzlich der Pädagogikprofessor Rainer Brockmeyer, Geschäftsführer der Bildungskommission Nordrhein-Westfalen, deren Denkschrift „Zukunft der Bildung“ einen Lichtblick in der Bildungsagonie darstellt. „Alles, was im Leben wichtig ist, kommt in der Schule nicht vor“, weiß auch der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Ingo Richter, und fordert die Schulen auf, „Brücken zur Wirklichkeit zu bauen“.

Damit wäre das Thema umrissen, mit dem sich die Kultusminister zu befassen hätten. Aber sie streiten monatelang, ob im Abitur vier oder fünf Fächer geprüft werden und wie „Belegverpflichtungen“ lauten sollen. Müssen die Hauptfächer Deutsch, Mathematik, Englisch bis zum Abitur durchgängig im Stundenplan stehen, oder dürfen es auch etwas individuellere Profile sein?

Nichts Weltbewegendes also, dafür aber skandalös weltabgewandt. Was da die Damen und Herren Minister an kafkaesken Sätzen verfaßt haben, hat sie ihrem heimlichen Ziel, einer Schule ohne Schüler, wieder einen Schritt näher gebracht.

Die Kultusminister werden sogar recht behalten. Schüler werden sich innerlich noch stärker von der Schule verabschieden. Sie werden morgens nur noch ihre müden Körper in der Klasse abstellen, ihre Phantasie wird spazierengehen. Damit wäre denn auch der empirische Beweis für die Notwendigkeit von „Belegverpflichtungen“ & Co. nachgeliefert. Reinhard Kahl

Freier Autor, lebt in Hamburg