Rotes Signal aus Berlin

■ Im Berliner Bezirk Lichtenberg ist der erste PDS-Bürgermeister gewählt. Die Bonner CDU ereifert sich. Doch der PDS-Mann gilt als "Reformer"

Berlin (taz) – In Berlin ist erstmals ein PDS-Politiker zum Bezirksbürgermeister gewählt worden. Es ist der bei allen Fraktionen anerkannte PDS-Reformer Wolfram Friedersdorff. Der 45jährige Ökonom war bislang schon Wirtschaftsstadtrat im Bezirk Lichtenberg. Er nannte seine Wahl ein Signal für Berlin. In Bonn brannten dagegen die Sicherungen durch. „Es ist unerträglich, daß ein Bezirk in der deutschen Hauptstadt von den Kräften der Vergangenheit regiert wird“, ereiferte sich CDU- Generalsekretär Hintze wenige Minuten nach der Wahl in einer Presseerklärung.

„Die neue Kooperation von SPD und PDS scheint erste Früchte zu tragen“, sagte Hintze. Die Einschätzung ist von der Bonner Perspektive getrübt. Denn das Gespräch zwischen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi spielt für die Berliner Kommunalpolitik überhaupt keine Rolle. Der Stimmungsumschwung hat sich hier schon seit längerem und unspektakulär vollzogen.

In den 23 Stadtteilverwaltungen Berlins stellt die PDS seit den Wahlen von 1992 immerhin 21 Stadträte. Im politischen Alltag fielen sie insgesamt durch Pragmatismus auf. So erregt die Wahl von PDS-Bürgermeistern in Berlin auch kaum Aufsehen.

„Die demokratischen Spielregeln sollen auch für die PDS gelten“, schätzt ein Gründungsmitglied des Ostberliner Bündnis 90 die Stimmungslage in der Bevölkerung ein. „Es ist einfach eine Frage des Demokratieverständnisses.“ Auch unter den Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen seien in den letzten Jahren die Berührungsängste zur PDS geringer geworden. „Die Gründungsmitglieder ziehen sich zurück und es kommen Neue nach, für die nicht mehr die Vergangenheitsbewältigung im Vordergrund steht, sondern die Zukunftsbewältigung.“

Die Bündnisgrünen hatten nach den Berliner Landtags- und Kommunalwahlen am 22. Oktober erklärt, daß sie eine Unterstützung von PDS-Bürgermeisterkandidaten von der Person abhängig machen wollen. Und auch bei der SPD ist die Bereitschaft gewachsen, PDS-Kandidaten zum Zuge kommen zu lassen. So muß der Lichtenberger Friedersdorff mit fünf SPD-Stimmen gewählt worden sein. Dessen Amtsvorgänger, der bündnisgrüne Gottfried Mucha, vermutete gar, die SPD habe bei der Wahl einen „Deal“ mit der PDS geschlossen.

Bisher hatten die etablierten Parteien die PDS mit der Änderung der politischen Spielregeln von der Macht ferngehalten. In den Berliner Bezirken hat traditionell die stärkste Partei das Vorschlagsrecht für den Bürgermeisterposten. Als die PDS 1992 in fünf Bezirken die stärkste Kraft wurde, wurden „Zählgemeinschaften“ eingeführt, um die PDS auszubooten: Wenn sich andere Fraktionen auf ein Wahlbündnis verständigten und damit künstlich zur stärksten Fraktion wurden, konnten sie ihren Kandidaten durchsetzen.

Diese Verhinderungstaktik sorgte noch 1992 dafür, daß kein einziger PDS-Politiker Bürgermeister wurde. Doch jetzt weicht die Front der Verhinderer auf. Nur in vier Ostberliner Bezirken bildeten SPD und CDU Zählgemeinschaften, um ihre eigenen Kandidaten durchzusetzen. Neben Lichtenberg rechnet die PDS damit, daß sie in drei weiteren Bezirken den Bürgermeister stellen kann.

Wie sehr die Unterstützung von PDS-Politikern von bezirklichen Gegebenheiten und der Persönlichkeit des Kandidaten abhängt, zeigt sich im Bezirk Prenzlauer Berg. Hier entschied sich der Kreisverband des Bündnisses Prenzlauer Berg am Donnerstag abend dafür, den SPD-Kandidaten zu unterstützen, obwohl die PDS mit einem DDR-Oppositionellen einen akzeptablen Kandidaten präsentiert hatte.

Doch auch in Berlin gilt auf Landesebene noch längst nicht, was in den Bezirken bereits politischer Alltag ist. Vom Wahlergebnis her, hätte der PDS als drittstärkster Kraft einer der drei Posten des Vizeparlamentspräsidenten zugestanden. Doch bei der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses am Donnerstag ließen CDU, SPD und auch einige Bündnisgrüne die PDS-Kandidatin Gesine Lötzsch dreimal durchfallen. Dorothee Winden