Ein Augenblick, der zehn Jahre anhielt

Gerhard Bletschacher, Ex-Chef der Münchner CSU-Fraktion, steht vor Gericht, weil er fast fünf Millionen Mark unterschlagen hat. Die Dummheit in Person oder ein verschlagener Finanzjongleur?  ■ Aus München Felix Berth

Wenn man Gerhard Bletschacher heute als einfältigen Dummkopf beschreibt, tut man ihm wahrscheinlich einen Gefallen. Der Mann, der als Vorsitzender des Vereins „Stille Hilfe Südtirol“ etwa fünf Millionen Mark aus der Kasse geräumt und in seine Käseschachtelfabrik gesteckt hat, sitzt seit gestern vor Gericht und gibt sich alle Mühe, einen nicht gerade hellen Eindruck zu machen.

So erzählt er eine merkwürdige Version seiner kriminellen Karriere: „Ich wollte mit dem Geld meiner Firma aus einer augenblicklichen Notlage helfen“, sagt er – und muß Minuten später zugeben, daß sich der „Augenblick“ fast zehn Jahre hingezogen hat, in denen er munter weiterkassierte.

Noch einfältiger klingt es, wenn Bletschacher seine Arbeit als Vorsitzender der „Stillen Hilfe Südtirol“ beschreibt: „Das Wichtigste an diesem Verein war für mich die ehrenamtliche Tätigkeit“, sagt der Mann, der seit 1986 jeden Monat mit einem Köfferchen zur Bank gelaufen ist, um von den Konten des Vereins zwischen 30.000 und 70.000 Mark abzuheben und nach ein paar Minuten Spaziergang auf einem Konto seiner Käseschachtelfabrik einzuzahlen.

Seine Vereinsführung beschreibt Bletschacher als sparsam. „Es sind außer Porto keine Kosten für den Verein entstanden“, sagt er, obwohl er von insgesamt 52 Millionen Mark Spenden fünf Millionen abgezweigt hat und wohl nie zurückzahlen wird.

Nun hat das Landgericht München I natürlich nicht über die Zurechnungsfähigkeit eines Politikers zu befinden, der fünf Jahre lang die CSU-Fraktion im Münchner Rathaus geleitet hat. Doch natürlich müssen die Richter beurteilen, ob sie es mit den Zufallstaten eines leicht vertrottelten Typen zu tun haben oder mit dem Werk eines cleveren Kriminellen.

Was Bletschachers Verteidiger Steffen Ufer, einer der Staranwälte aus Rolf Bossis Kanzlei, anpeilt, ist nach dem ersten Verhandlungstag jedenfalls abzusehen: eine Bewährungsstrafe, weil Bletschacher wenig kriminelle Energie hatte, sondern irgendwie in die Unterschlagungen gestolpert ist ...

Manchmal wird allerdings deutlich, daß Bletschacher die „Darlehen“ nicht ganz mühelos beschaffen konnte. So ließ er sich, um Kassenprüfer und Finanzamt zu necken, immer wieder hübsche Titel für Konten und Überweisungen einfallen. „Durchlaufkonto-Geld“ nennt er seine Unterschlagung dann; „Kosten des Geldverkehrs“ finden sich in den Vereinsabrechnungen. Sogar einen gewissen Witz scheint Bletschacher entwickelt zu haben, als er ein „Testkonto außerhalb der Buchhaltung“ für seine Transfers einrichtete.

Spannend bleibt, ob sich in dem Prozeß das zögernde Ermittlungsverhalten des Finanzamts aufklären wird. Den Beamten war bereits 1990 bekannt, daß Bletschacher die Tausender nur so herumschob. Bis sie die Staatsanwälte einschalteten, dauerte es allerdings gut vier Jahre – was dazu führte, daß die Hälfte von Bletschachers Taten heute bereits verjährt sind.