Tunnel trennt die Wesermarsch

■ Erörterungstermine zur neuen Weserquerung bei Dedesdorf abgeschlossen

Wenn der Wesertunnel kommt, kann Enno Achgeles aus Rodenkirchen (Kreis Wesermarsch) seine Landwirtschaft zumachen. Denn die Planungen zu dem 560 Millionen Mark teuren Straßen-Projekt zwischen Kleinensiel und Dedesdorf sehen nicht nur vor, daß 30 seiner 37 Hektar als „ökologische Ausgleichsfläche“ unter Auflagen gestellt werden: „Ich bin zusätzlich mit weiteren fünf Hektar durch die Trassenführung betroffen“, klagt er. Will er den Betrieb nicht aufgeben, müßte er seine 110 Kühe das ganze Jahr über im Stall behalten und das Futter von weit her heranholen. „Pohlmann-Kühe“ würden damit geschaffen, sagt sein Kollege Dirk Dettmers in Anspielung auf die Massentierhaltung des umstrittenen südoldenburger „Hühner-Barons“.

Achgeles und Dettmers gehören zu den rund 1.800 Einwendern gegen den geplanten 1,6 Kilometer langen Wesertunnel bei Dedesdorf, mit dessen Bau nach mehr als einem Jahrzehnt Vorlauf im kommenden Jahr tatsächlich begonnen werden soll. Heute endet die Erörterung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens. Seit Mitte November konnten die Einwender den Bezirksregierungen Weser-Ems und Lüneburg ihre Bedenken mündlich vortragen. Dabei kam es immer wieder zu den erwarteten Streitereien zwischen Gegnern und Befürwortern des Projektes. Es galt, sich für die nächste Runde der Auseinandersetzung vor Gericht in eine günstige Ausgangsposition zu bringen.

Die Oldenburger Industrie- und Handelskammer warb für die Notwendigkeit des Tunnels. Ohne bessere Verkehrsanbindung hätten Tourismus und Gewerbe der Region keine Zukunft, erklärte der Geschäftsführer, Michael Ahrens. Alles nur Glaube und Hoffnung, konterten die Naturschutzverbände. „Wenn man Hypothesen in den Raum stellt, kommt man noch lange nicht zu gutachterlichen Ergebnissen“, kritisierte Rüdiger Wohlers vom Naturschutzbund (NABU). Durch das Zusammenwachsen der drei „Pleitestädte“ Bremerhaven, Wilhelmshaven und Nordenham sei kein Aufschwung zu erzielen. Beim Erörterungstermin beantragte Wohlers deshalb ein unabhängiges Wirtschaftlichkeitsgutachten.

Unbestritten ist dagegen der Wegfall von Arbeitsplätzen im Fährverkehr. Nach Berechnungen des Landkreises Wesermarsch würden sich nach Fertigstellung des Tunnels lediglich Personen-/Fahrradfähren bei Blexen und von Brake nach Sandtstedt rentieren. Die drei nördlichen Autofähren mit ihren zur Zeit rund 100 Arbeitsplätzen würden wohl eingestellt.

Die Umweltschutzverbände vermuten andere Gründe hinter dem Großprojekt als die Förderung der regionalen Wirtschaft. Sie befürchten, daß der vierspurige Tunnel zum ersten Mosaikteilchen einer neuen „Küstenautobahn“ wird. Tatsächlich liegt er unmittelbar auf der einst geplanten und dann wieder zurückgenommenen Autobahntrasse, die eine schnelle Verbindung zwischen Skandinavien, Norddeutschland und den Benelux-Ländern schaffen sollte.

Als Bestätigung ihrer Befürchtung werten die Verbände, daß die Planungsbehörde das laufende Verfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz betreibt. Dem hielt das Straßenbauamt jedoch entgegen, der Tunnel habe nur regionale Bedeutung. Außerdem sei die „Küstenautobahn“ im Bundesverkehrswegeplan nicht vorgesehen. Ernst Reinert vom Landesamt für Straßenbau: „Die Küstenautobahn ist politisch nicht gewollt.“

Nur mit einer Autobahn könnten allerdings die von der Planungsbehörde erwarteten 20.800 Fahrzeuge zusammenkommen, die den Tunnel ab der Fertigstellung im Jahr 2002 täglich passieren sollen. Jahrelang waren die Planer selber nur von 7.500 Fahrzeugen am Tag ausgegangen. Eine „Fehleinschätzung“ sei das gewesen, hieß es jetzt im Erörterungsverfahren. Im übrigen sei der Bedarf durch den Gesetzgeber festgestellt worden, so Joachim Delfs, Vertreter des Straßenbauamtes.

Die Naturschützer vermuten hinter der „Fehleinschätzung“ jedoch System. Damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis günstiger aussehe, würde einfach das Verkehrsaufkommen hochgerechnet. Bis zum 1. Februar 1996 soll das Straßenbauamt nun durch unterschiedliche Untersuchungen das zu erwartende Verkehrsaufkommen neu belegen.

Bis dahin könnten die Naturschutzverbände und einige Einzeleinwender jedoch schon Klage eingereicht haben, um den Wesertunnel zu verhindern. Nach eigener Einschätzung haben sie dabei auf Grund von Verfahrensfehlern mittlerweile gute Chancen. Knapp 30.000 Mark wurden zudem schon für die Verbandsklage gesammelt.

Die betroffenen Bauern werden vor allem gegen die geplanten Ausgleichsmaßnahmen klagen. Einige von ihnen würden dem Tunnelbau zustimmen, wären sie nicht selber betroffen. Landwirt Peter Cornelius: „Ich halte den Wesertunnel für unbedingt notwendig.“ Andere sehen in einer solche Klage nur das Mittel zum Zweck, den Tunnel ganz zu verhindern. Denn wo es keine Ausgleichsflächen gibt, dürfte es auch keine Natureingriffe geben. Weiter entfernt gelegene Ersatzmaßnahmen sind nach dem Naturschutzgesetz nicht mehr zulässig.

Enno Achgeles jedenfalls hält gar nichts von einem vierspurigen Wesertunnel mit Bundesstraßenanschluß. „Der Tunnel ist dummes Zeug“, sagt er, „ich gebe meine Flächen nicht her, weil sie die Natur an anderer Stelle zerstören.“ Er empfiehlt, lieber die zehn gefährdeten Arbeitsplätze der Bauern und die der Fährleute zu sichern. Und Naturschützer Rüdiger Wohlers fordert als Alternative die Förderung von Randwanderwegen und Familienurlaub. Für die eingesparten Baumillionen will er den Zug wieder von Oldenburg nach Brake fahren lassen – 100 Jahre lang.

Georg Jauken