Sanssouci
: Nachschlag

■ Karin Graf und Tilmann Krause stritten sich im Literaturhaus

„Die wahren Kenner der Dichtkunst“, schreibt Lessing im „Zehnten Brief, die deutsche Literatur betreffend“, „sind zu allen Zeiten, in allen Ländern ebenso rar als die wahren Dichter.“ Zwei dieser seltenen Exemplare, Karin Graf, vormals bei Rowohlt Berlin, jetzt Literaturagentin, und Tilmann Krause, Literaturredakteur des Tagesspiegels, trafen am Donnerstag abend auf der 10. Tagung des Autorenkreises der Bundesrepublik aufeinander. Thema des Streitgesprächs: „Rettet die Literatur vor den Literaten“.

Was Krause mit teilweise sich selbst überlistender Eloquenz als Eingangsstatement vortrug, konnte zunächst nur als Provokation verstanden werden. Er teilte – zum anfänglichen Vergnügen des Schriftsteller-Publikums – die Schreiber in drei Kategorien ein, vor denen es die Literatur zu retten gilt: In „Dichter“, „Hochbegabte“ und „Nur-Literaten“. Welcher Anspruch an Literatur dann noch übrigbleibt, formulierte Krause erfrischend ehrlich und mit einem Seitenblick auf die ausländische Literatur: „Anspruchsvolle Unterhaltung für den gebildeten Mittelstand.“ Endlich könne man „den ganzen Außenseiter-Kitsch“ beiseite lassen und sich der wirklichen Lebenswelt des Mittelstandes zuwenden, dem Büro und dem Campus. Krause: „Wenn ich Wahrheit im Zusammenhang mit Literatur höre, entsichere ich meinen Revolver.“ Karin Graf war diese Kategorisierung zu eng; natürlich suche sie nach Wahrheit im Buch. Worauf Krause milde mit der Bemerkung parierte, der „intelligente Mittelständler“ wolle sich eben nicht an ein Buch „heranarbeiten“.

Dies war der Zeitpunkt, da mir als wohlwollendem Zuhörer ein wenig mulmig wurde. Denn langsam wurde klar: Der macht keinen Spaß. Tilmann Krause spielt nicht etwa den Advocatus diaboli, sondern meint es bitterernst. Würde Krause seine mittelständischen Literaturansprüche auch mit der Dienstwaffe durchsetzen? Und wie reagierte die literarische Öffentlichkeit? Würde es als Thema literarischer Gestaltung noch in die Lebenswelt des intelligenten Mittelständlers fallen oder bereits als Außenseiterkitsch gelten? Noch ehe ich Antwort auf diese Fragen finden konnte, beschloß ich, den Raum zu verlassen, nicht ohne mich durch einen kurzen Schulterblick zu versichern, daß niemand die Pistole auf mich hielt. Im Tagesspiegel hätte am nächsten Tag gestanden: „Auf der Flucht erschossen“. Peter Walther