Jetzt macht er schon Faxen

Adventliche Zeit der Zärtlichkeit: Nach dem 4:0 gegen Schalke sind die Bayern vorerst mit sich und Kommandant Rehhagel versöhnt  ■ Aus München Markus Götting

Mußte ihm Otto Rehhagel das wirklich antun? Ihn warmlaufen lassen, trimmtraben an der Seitenlinie, und dann wieder zurückbefehlen auf die Auswechselbank, die schon wieder ganz kalt geworden war, weil fast eine halbe Stunde lang unbesetzt? Seelenmord ist das, was Andreas Herzog neuerdings widerfährt. Erst wurde er immer ausgewechselt, nun darf er gar nicht mehr mitmachen beim FC Bayern. So ist der Berufsfußball hierzulande: absolut unerbittlich und gnadenlos gegenüber individuellem Schicksal.

Einerseits. Andererseits: Wer hat Herzog schon vermißt beim 4:0 (1:0) gegen den FC Schalke 04? Im Mittelfeld lief es doch ganz ordentlich: Mehmet Scholl spielte flink und zielstrebig, Ciriaco Sforza und Christian Nerlinger hielten ihm standhaft den Rücken frei. Funktionierte also auch ohne Herzog, abgesehen von einer knapp halbstündigen Phase spielerischen Schwächelns. Munter hin und her ging es im Münchner Olympiastadion, und dabei assistierten sich in der ersten Halbzeit beide Mannschaften vortrefflich, indem sie sich generös wechselseitig die Kugel zustiefelten: return to sender.

Es gibt solche Fußballspiele, da fallen die Tore manchmal beiläufig. Grade noch hopst das Spielgerät wie ein Känguruh über das Feld, da ist es plötzlich eingefangen im Netz. Zugegeben: Sforzas Führungstreffer ging der wohl steilste Steilpaß der Saison voraus, getreten von Lothar Matthäus, aber Tor Nummer zwo war eher eines aus der Kuriositätenabteilung. Schießbuden-Lehmann, Schalkes Torsteher, rutschte instinktsicher an Ball und Kontrahent Scholl vorbei, was wirklich irrsinnig komisch aussah, und dann sank der Vollstrecker auch noch zusammen wie vom Blitz gefällt. Irgendwie seltsam.

Jörg Berger, Trainer der Revierkicker, fand das weniger amüsant und ereiferte sich später über den Übermut seiner Eleven. Offenbar beseelt von Euphorie angesichts einiger Erfolge in der letzten Zeit, hatten die angefangen, Feinheiten wie die Abseitsfalle auszutesten, obwohl das bisher noch gar nicht auf dem Lehrplan stand. Doch die Autodidakten wurden schnell bei Defiziten ertappt. „Das ist wie bei einer Prüfung“, sagte Berger, „wenn man nicht richtig lernt, muß man sich nicht wundern, wenn man durchfällt.“ Also: Setzen, Schüler Olaf Thon! Weiterbüffeln.

Immerhin ist beim Schalker Libero Einsicht eingekehrt. Lehrgeld habe seine Mannschaft zahlen müssen, bekannte er nach dem Auslaufen, was seine grundsätzliche Meinung bestätigt, das Team müsse zunächst einmal Punkte gegen den Abstieg sammeln. Nix da mit UEFA-Cup-Platz.

Außerdem: „Wenn die Bayern 2:0 führen, sind sie auch zu Traumfußball in der Lage“, meinte Trainer Berger. Damit wollte er wohl ausdrücken, daß den Münchnern einige Konter gelangen; einer führte letztlich zum 4:0 durch Kostadinow. Aber gemach: Eine Glanznummer war es nur selten. Warum auch? „Es ist wichtig, daß wir den Anschluß an Dortmund nicht verlieren“, sagte Rehhagel. Und was noch wichtiger ist: die Rückkehr zu den Musketier-Tugenden – einer für alle, alle für einen. Mehmet Scholl, der sich allmählich dauerhaft für die Startaufstellung qualifiziert hat, überließ beim 3:0 (Thon hatte zum zweiten Mal gepennt) dem Nebenmann Christian Nerlinger kollegial den Torschuß, worauf Bayern-Präsident Franz Beckenbauer entzückt feststellte, daß „wieder füreinander gespielt wird“. Lothar Matthäus sekundierte, daß der Treffer zu 90 Prozent Scholls Werk gewesen sei.

Eine solche Atmosphäre der Freundschaft kann wirklich Trost spenden, selbst wenn man gerade von Frau und Hund allein gelassen wurde. In den familieneigenen Pferdestall in Starnberg mag Lothar Matthäus gar nimmer gehen, die Einladung zum Weihnachtsfest übermittelte Gemahlin Lolita („wenn er nichts anderes vorhat“) via Zeitung. Und in der Schweiz hat das Boulevardblatt Blick gar gemutmaßt, Matthäus habe mit... Häßlicher Szene-Schnack – Gerüchte, Gerüchte, Gerüchte. Mögen auch gar nicht so richtig reinpassen in die adventliche Zeit des Zueinanderfindens.

Die Bayernkicker jedenfalls, mit Ausnahme von Andreas Herzog vielleicht, sind vorerst mit Kommandant Rehhagel versöhnt, und dieser, wie stets, auch mit sich selbst. Jetzt macht er sogar schon Faxen für die Südkurvenkundschaft und winkt hinauf auf die Stehränge. Herrje, was sind das bloß für Tage in München?

Bayern München: Kahn - Matthäus - Babbel (71. Frey), Helmer - Hamann (66. Kostadinow), Sforza, Nerlinger, Scholl (79. Witeczek), Ziege - Zickler, Klinsmann

Schalke 04: Lehmann - Thon (83. Held) - Kurz (57. Latal), Linke - Eigenrauch, Nemec, Müller (69. Prus), Anderbrügge, Büskens - Max, Mulder

Tore: 1:0 Sforza (22.), 2:0 Scholl (54.), 3:0 Nerlinger (62.), 4:0 Kostadinow (84.)

Zuschauer: 61.000