Emotionen, Emotionen!

■ Heute hat Ulrich Meyer als Anchorman der Sat.1-Nachrichten "18.30" Premiere

Der Mann wirkt wie ein Harvardabsolvent. Mit grauem Anzug und dezent gemusterter Krawatte, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, steht er inmitten all der neuen Computer und redet von „Fein-Tuning“ und „neuem Spirit“. Nein, die Rede ist nicht von Ulrich Meyer, dem neuen Nachrichten-Anchorman von Sat.1, sondern von seinem Chefredakteur Jörg van Hooven. Der soll aus dem neuen „18.30“ eine ernsthafte Konkurrenz zu „Tagesschau“ und „Heute“ machen, nachdem das bisherige „Newsmagazin“ in den letzten Jahren immer mehr zum Geheimtip für Satire-Freunde geworden war: holprige Überleitungen, ab und zu mal ein Schwarzbild, den Freispruch von O. J. Simpson verschlief man gleich ganz. Daß van Hooven nur ein Fünftel der 40 Hamburger Redakteure mit nach Berlin nimmt zeigt, wieviel er von der alten Mannschaft hält. Im neuen Newsroom unter dem Dach des Berliner Nachrichtenkanals n-tv, der die Technik bereitstellt, sollen nur noch 30 Redakteure arbeiten. Van Hooven behauptet zwar, er wolle verstärkt auf erfahrene Nachrichtenleute zurückgreifen, doch die Nachrichtenchefin Bettina Warken kommt aus der Boulevard- Ecke. Vor ihrem Wechsel war die 32jährige bei „explosiv“ (RTL) und „Hautnah“ (Pro7).

Van Hooven, der früher bei CBS-News arbeitete und bereits die Pro7-Nachrichten erfolgreich getrimmt hat, will auch Sat.1 amerikanisieren. Wer bei ihm anfängt, bringt neben dem Englischlexikon am besten auch die kugelsichere Weste mit: „Wir schicken die Reporter in the field.“ Präsentieren soll die Mischung aus dramatischen Vor-Ort-Reportagen und emotionalen Softnews dann Ulrich Meyer, der seit der Stammtischrunde „Einspruch“ seinen Ruf als TV-Krawallo weghat. Für van Hooven hat Meyer das Zeug zum Anchorman, schließlich kann er seinen Betroffenheitsblick anknipsen, wie andere die Stehlampe. Bei seinem pseudo-investigativen Magazin „Akte 95“ graben sich ihm, passend zur Schreckens-MAZ, Sorgenfalten in die Stirn, die aber rechtzeitig zur launigen Abmoderation einem charmanten Grinsen weichen. Auch der Geschäftsmann Ulrich Meyer hat Grund zur Freude. Kann er doch in „18.30“ Werbung in eigener Sache machen. Die Redaktion soll eng mit Meyers Firma Meta-Production zusammenarbeiten, die für Sat.1 auch „Akte 95“ produziert. Die wird der Chef weiter persönlich moderieren, und selbst eine „Kinder-Akte“ scheint nicht ausgeschlossen. „Was wir in den News nur anreißen können, wird in der ,Akte‘ vertieft“, kündigt er an, und van Hooven pflichtet bei: „Wir wären ja schön doof, wenn wir die Synergie-Effekte nicht nutzen würden.“ So wird wohl manches Thema, das bei Meta-Production in der Schublade liegt, über „18.30“ den Weg in die Primetime finden. Mit seiner Vita, die sich wie die DNA des Infotainments liest („Einspruch!“, „Alarm!“, „Akte 95“ – „Reporter decken auf“) paßt Meyer voll in das Konzept von Programmchef Kogel, das dessen Nachrichtenbeauftragter van Hooven recht einsilbig umreißt: „Emotionen, Emotionen, Emotionen!“

Damit Sat.1 endlich eine Corporate identity bekommt, soll der „intelligente Beau mit dem tiefgründigen Blick“ (Medium Magazin) möglichst oft vom Bildschirm lächeln. Die Frauen werden bis auf Gaby Papenburg von „ran“ aus dem Studio verbannt. Die Doppelmoderation wird abgeschafft, Meyers Präsenz nur durch fünf Minuten Sport und das Wetter unterbrochen. Und am Wochenende darf der uncharismatische Hans Hermann Gockel vertreten, der die News bisher moderierte.

Der heutige Premierentermin für „18.30“ ist günstig, denn das Lamento um die Tugend der öffentlich-rechtlichen Kollegen Uli Wickert (Deutsche Bank), Nina Ruge (Ruhrgas) und Alexander Niemetz (Post und Bahn) relativiert Meyers journalistische Fehltritte schon im vorhinein. Solange sich die Glaubwürdigkeit von Nachrichten allein daran festmacht, wer sie in welcher Deko verliest, wird die Diskussion darum ein Scheingefecht bleiben. Das Zusammengeschnipsel aus Bildern und O-Tönen steht nicht zur Debatte. Durch „18.30“ wird sich das Genre nicht erneuern, allenfalls wird es ein bißchen boulevardmäßiger. ARD und ZDF haben dennoch alles getan, um Uli Meyer den Start zu erleichtern. Oliver Gehrs