Kurzum: Ordnung schaffen heißt die Parole in Rußland

Zwei Wochen vor den russischen Parlamentswahlen liegen die Kommunisten vorn. Der ehemalige stellvertretende Leiter der Propagandaabteilung des ZK der KPdSU, Genadi Sjuganow, fühlt sich als sicherer Sieger  ■ Von Barbara Oertel

Rockkonzerte, Claudia Schiffer auf dem Laufsteg und Geschenke für das Volk: Zwei Wochen vor den Dumawahlen am 17. Dezember zieht der russische Regierungschef Wiktor Tschernomyrdin mit seiner Mitte-Rechts-Partei „Unser Haus Rußland“ (UHR) alle Register. Dabei scheint der Premier plötzlich auch sein Herz für die Benachteiligten und Unzufriedenen entdeckt zu haben. Der gebeutelten russischen Armee will die Regierung schnellstens 2,6 Billionen Rubel (rund 809 Millionen Mark) zur Verfügung stellen.

Tschernomyrdins Partei gilt als „Bonzenpartei“

Bergarbeitern verspricht Tschernomyrdin, den ausstehenden Lohn zu zahlen. Damit Rentner endlich ihre Pensionen erhalten, sollen sogar russische Goldvorräte verkauft werden.

Für geprellte Anleger und Aktionäre ist ein Hilfsfonds geplant. Russische Kommentatoren bemerkten bereits spöttisch, daß niemand in den vergangenen fünf Jahren soviel versprochen habe wie Wiktor Tschernomyrdin in nur einer Woche.

Inwieweit die Strategie des Premiers aufgeht und sich in Wählerstimmen umsetzen läßt, ist schwer einzuschätzen. Denn die UHR, die sich auf zahlreiche einflußreiche Vertreter der Wirtschaft stützt, gilt bei vielen als eine „Bonzenpartei“. Außerdem hat sich von den zahlreichen Parteien, über die die meisten Russen schon längst den Überblick verloren haben, kaum eine nicht die Lösung sozialer Probleme auf ihre Fahnen geschrieben. Das gilt, wenngleich mit Einschränkungen, auch für die beiden großen Wahlblöcke „Jabloko“ (Apfel) des Wirtschaftswissenschaftlers Grigori Jawlinski und „Demokratische Wahl Rußlands – Vereinigte Demokraten“ von Jegor Gaidar.

Jawlinski, Mitverfasser des „500 Tage“-Programms zur Einführung der Marktwirtschaft, plädiert für einen Abbau der Präsidentenmacht und für eine Wiedereinführung der Kontrollfunktion des Parlaments. Dezentralisierung heißt ein weiteres Zauberwort. So sollen wirtschaftspolitische Reformen, wie effiziente Privatisierung und Entmonopolisierung, in den Regionen ansetzen. Dabei setzt Jawlinski auf den Mittelstand und kleine Betriebe, die vom Staat stärker gefördert werden sollen.

Als Hoffnungsträger der Demokraten und Reformer versucht sich auch Jegor Gaidar zu profilieren. Der Exregierungschef, der mit so bekannten Größen wie dem Menschenrechtler Sergej Kowaljow für seine Partei werben kann, propagiert neben einer umfassenden Militärreform, gesetzlich garantiertem Eigentum und einer Öffnung zum Westen eine grundsätzlich neue Haushaltspolitik. Danach sollen die Ausgaben für unrentable Großbetriebe reduziert werden, zugunsten von Investitionen in Bildung, Gesundheit, Wissenschaft und Kultur. Besonders sozial Schwache möchte Gaidar bei der Verteilung der Ressourcen stärker berücksichtigen. Im Gegensatz zu Jawlinski, dessen Wählerpotential zu einem Großteil in den Zentren Moskau, St. Petersburg und Nischni Nowgorod zu finden ist, scheinen Gaidars Aussichten für die Wahlen eher weniger gut zu sein. Denn die bittere Pille seiner Schocktherapie, die besonders häufig für alte Menschen mit einem sozialen Abstieg verbunden war, steckt vielen Russen noch immer im Hals.

Nutznießer von fortschreitender Verarmung und enttäuschten Erwartungen sind die Kommunisten (KPRF). Ihr Vorsitzender Genadi Sjuganow, ehemals stellvertretender Leiter der Propagandaabteilung des ZK der KPdSU, fühlt sich bereits wie der sichere Sieger der bevorstehenden Parlamentswahlen. Zumindest die Umfrageergebnisse geben ihm recht. Danach liegt die KPRF, mit 500.000 Mitgliedern und 20.000 Grundorganisationen die weitaus bestorganisierte Partei in der Russischen Föderation, seit Wochen an der Spitze. Sjuganow kennt eben die Probleme der Menschen und benennt sie auch. Kampf der Korruption und der Kriminalität, Banditen in die Gefängnisse, kurzum Ordnung schaffen, heißt die Parole. Sowjets sollen wieder die Leitung des Staates übernehmen, das russische Volk die Produktion kontrollieren. Auch Entwurzelte und in ihrem Nationalstolz Gekränkte werden bedient, wenn Sjuganow sich für die wirtschaftliche und politische Integration der ehemaligen Sowjetrepubliken stark macht. Besonders bei älteren Menschen scheinen die Kommunisten damit anzukommen. Und da interessiert es wenig, daß die KPRF für die Geschichte jegliche Verantwortung von sich weist und so illustre Persönlichkeiten wie Anatoli Lukjanow, einer der Putschisten vom August 1991, für die Partei kandidieren. Doch Sjuganow erweist sich in jeder Situation als erstaunlich flexibel. Etwaige Ängste vor einer Rückkehr der „Roten“ – der Wahlkampfmanager Tschernomyrdins, Sergej Beljajew, wollte gar Hamsterkäufe von Grütze, Mehl, Zucker und Konserven ausgemacht haben – zerstreut er mühelos. „Die marktwirtschaftlichen Reformen sind unumkehrbar“, verkündete er jüngst in einem Interview. Den Amerikanern versprach er, private Investitionen besser zu fördern als die jetzige Regierung.

Engster Verbündeter Sjuganows ist die Agrarpartei von Michail Lapschin. Diese Gruppierung, die im wesentlichen kommunistische Positionen vertritt, ist in erster Linie eine reine Lobby der Landbevölkerung, Ihr wichtigstes Ziel ist, die Privatisierung auf dem Lande zu verhindern.

Als einen möglichen Koalitionspartner betrachtet Sjuganow auch den „Kongreß der russischen Gemeinden“ (KRG) mit Alexander Lebed an der Spitze. Der Exgeneral, seit Frühjahr dieses Jahres Parteimitglied, setzt auf einen starken Staat mit einer patriotischen Regierung. Die Ausplünderung Rußlands müsse beendet werden. Dazu sollen der militärisch-industrielle Komplex wiederbelebt und einige Industriebereiche wieder staatlich reguliert werden. Auch der Kriminalität und Korruption hat Lebed, der mit dem Slogan „Außer uns ist niemand mit euch“ wirbt, den Kampf angesagt. Dazu müßten die betreffenden Organe zuallererst besser ausgestattet werden. Denn was kann ein Milizionär, der eine Makarow-Pistole und ein Auto mit zehn Litern Benzin im Tank hat, schon einem technisch gut ausgerüsteten Verbrecher entgegensetzen?

Für Wladimir Schirinowski wird es diesmal eng

Rußlands Interessen in den benachbarten GUS-Republiken will der General a. D. mit „zivilisierten Methoden“ zur Geltung bringen. Dazu könne man zum Beipiel den Gashahn zudrehen oder die Kohlelieferungen einstellen, sagte er kürzlich in einem Interview. Vor allem in den Reihen der Armee, zunehmend unzufrieden mit den politischen Verhältnissen und mit rund vier Millionen Mann eine nicht unerhebliche Wählergruppe, hofft Lebed auf Stimmen. Die Taktik scheint aufzugehen. Experten sagen der Partei, die noch vor wenigen Monaten fast gänzlich unbekannt war, ein Ergebnis zwischen 10 und 15 Prozent voraus. Seit dem Frühjahr geht Lebeds Popularitätskurve beständig nach oben, kürzlich wurde er sogar als Traumkandidat für das Amt des Präsidenten bezeichnet.

Angesichts der starken Konkurrenz im national-patriotischen Lager dürfte es für den Rechtsradikalen und Führer der sogenannten Liberaldemokratischen Partei Rußlands (LDPR), Wladimir Schirinowski, diesmal eng werden, wenngleich Beobachter davon ausgehen, daß die Partei den Einzug in die Duma schafft. Zwar gilt die Partei immer noch als gut organisiert und tritt in den Wahlkreisen mit den meisten Kandidaten an. Doch scheinen die abgedroschenen rechtsextremistischen Phrasen à la Schirinowski bei den Wählern weitaus weniger Anklang zu finden als noch vor zwei Jahren. Trotzdem setzt Schirinowski, der in Murmansk eine seiner Schwestern in den Wahlkampf schickt, weiter auf Althergebrachtes und pflegt munter sein Skandalimage. So wird in einem seiner Fernsehwahlspots ein Szene gezeigt, in der der Ultrarechte einen Journalisten mit Saft begießt. Dazu ertönt das Lied einer dunkelhaarigen Sängerin: Mein Traummann ist Schirinowski.