■ Joschka Fischer ist Pazifist – außer im Falle von Krieg
: Viel Pazifismus bleibt nicht übrig

Hut ab vor Joschka Fischer – und Helm auf. Er ist und bleibt Pazifist – außer im Falle von Krieg. Er nennt ihn „Völkermord“ und kennzeichnet mit diesem Begriff die Ausnahme von seinem Pazifismus. Nun gehört es zum Charakter des modernen Krieges, daß ein Volk das andere hinzumorden trachtet, und es bleibt nicht viel Krieg übrig, dem gegenüber man sich abstinent verhält, wenn man seinen Pazifismus bei Völkermord ausschaltet. Es bleibt infolgedessen auch nicht viel Pazifismus übrig. Es wird vergessen, daß der Pazifismus im vorigen Jahrhundert entstanden ist, als man erkannte, daß Krieg auf Völkermord hinausläuft.

Nun trägt Fischer eine besondere Begründung vor, warum er Völkermord so wenig leiden kann, daß er ihn mit Krieg beantworten will. Diese Begründung gilt heute tatsächlich als geeignet, alles über Bord zu werfen, was bisher für den Pazifismus sprach: Fischer verweist auf seine Biographie, die auch unser aller Biographie ist. Er hatte Eltern, die im eigenen Land einen Völkermord geduldet haben. Der Einsatz in Bosnien soll Auschwitz kompensieren.

Dabei sind das, was wir bei unseren Eltern gern gesehen hätten, und das, was jetzt von uns zur Kompensation geleistet werden soll, etwas völlig Verschiedenes: Während wir uns wünschen, daß unsere Eltern mehr persönliche Zivilcourage an den Tag gelegt und keinen ganz so großen Bogen um das Schafott gemacht hätten, soll unsere Leistung darin bestehen, daß wir mal wieder mit der Hammelherde laufen und den lebensgefährlichen Einsatz fremder junger Männer gutheißen. Erhebt man sich wirklich moralisch über die Elterngeneration, wenn man jetzt Halbwüchsige in Minenfelder schickt?

Fischer gehört nicht zu denen, die auf diese Weise Normalität zurückerlangen wollen. Im allgemeinen spielt dieses Motiv aber eine dominierende Rolle. Die Normalität soll durch die Unbefangenheit gegenüber dem Tötungstabu zurückgewonnen werden, eine Unbefangenheit, die wir durch die mörderische Nazi- Orgie verloren haben. Aber es ist nicht normal, eine für Jahrhunderte eingebrannte Stigmatisierung nach 50 Jahren zu ignorieren. Wir sind und bleiben das Land mit dem Kainszeichen auf der Stirn, und wir werden nicht dadurch wieder normal, daß wir uns einen Stahlhelm darüberziehen. Sibylle Tönnies

Soziologin, lehrt Recht an der Fachhochschule in Bremen