Iraner fürchten Abschiebung in den Tod

162 Menschen streiken in zwei Parteibüros in Ankara gegen ihre drohende Auslieferung an die Islamische Republik. Das UN-Flüchtlingswerk will sie nicht als Flüchtlinge anerkennen  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

162 iranische Flüchtlinge harren seit fast vier Monaten in zwei Parteibüros der „Vereinigten Sozialisten Partei“ in der türkischen Hauptstadt Ankara aus. Mit einem Sitz- und teilweisen Hungerstreik wollen sie verhindern, daß sie an den Iran ausgeliefert werden. Sie müssen jederzeit damit rechnen, daß die Büros der linkssozialistischen Partei von der türkischen Polizei gestürmt und sie den iranischen Behörden ausgeliefert werden. In der vergangenen Woche wurden zwei der Streikenden von der türkischen Polizei verhaftet. Sie sitzen in einem türkischen Gefängnis und befürchten, abgeschoben zu werden.

Ein Grund für die bedrohliche Lage der Iraner ist die Haltung des UN-Flüchtlingskommissariates. Das UNHCR erkennt die Iraner nicht als Flüchtlinge an und ermöglicht so ihre Auslieferung. Daß die meisten der streikenden Flüchtlinge bislang nicht festgenommen und abgeschoben wurden, ist allein dem Einsatz demokratischer Verbände zu verdanken. Auch die umfangreiche Berichterstattung in den türkischen Medien, daß iranische Oppositionelle an den wegen der dortigen Menschenrechtsverletzungen berüchtigten Iran ausgeliefert werden sollen, hat dazu beigetragen, daß bislang die politisch Verantwortlichen in der Türkei zögern, der Polizei den Auftrag zu erteilen, die Parteibüros zu stürmen.

„Unterstützt unsere politische Auflehnung“, heißt es in einem Aufruf des am Streik beteiligten iranischen Frauenkomitees. „Wir können nicht über unseren Beruf entscheiden. Sie verordnen Schleierzwang. Ehescheidungen spricht der Mann aus. Wir haben nicht das Recht auf Erziehung unserer Kinder, wenn unser Ehepartner stirbt. Mädchen werden gesteinigt, weil sie sich mit Männern trafen. Frauen sind unter dem Scharia- Regime Unterdrückung und Repression ausgesetzt.“ Mit Solidaritätsbekundungen reagierten die „Vereinigte Sozialistische Partei“, der türkische Menschenrechtsverein IHD und die Gewerkschaft der Angestellten im Gesundheitssektor – eine Gewerkschaft mit hohem Frauenanteil.

Die eindrucksvollen Bilder von Kindern, Frauen und Männern, die unter den Neonlichtern der kargen sozialistischen Parteibüros ihr Dasein fristen – gegessen wird auf dem Boden, weil Tische fehlen, und während des Streiks brachte eine Frau ein Kind zur Welt –, haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Berichtet wurde über die 40jährige Meryem, deren Ehemann vor drei Jahren hingerichtet wurde und die selbst acht Monate in einer kleinen Zelle gefoltert wurde. Oder über die 13jährige Azade, die geschlagen wurde, weil sie Nagellack benutzte.

Ein Großteil der iranischen Flüchtlinge lebt illegal in der Türkei. Nur wenige tausend Iraner sind offiziell als Asylsuchende registriert und verfügen über eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Mehrheit der Flüchtlinge – es wird geschätzt, daß sich mehrere hunderttausend Iraner in der Türkei, vornehmlich in Istanbul, aufhalten – verfügt über keinen legalen Status. Abgelehnte Asylbewerber werden in den Iran abgeschoben.

Der Sprecher der streikenden Iraner, Fersad Huseyni, teilte mit, daß in den vergangenen zehn Jahren 800 Menschen abgeschoben wurden. Menschenrechtsorganisationen werfen der türkischen Regierung vor, daß sie hochgefährdete iranische Regimegegner ausliefert und daß der Iran im Gegenzug gefangengenommene Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) den türkischen Behörden überstellt. In mehreren Fällen konnte nachgewiesen werden, daß ausgelieferte Iraner hingerichtet wurden.

Neben politischen Morden in der Türkei, die wahrscheinlich Werk des iranischen Geheimdienstes sind, herrscht offensichtlich auch eine enge Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten. Nach Angaben des stellvertretenden Vorsitzenden der „Vereinigten Sozialisten Partei“, Atilla Aytemur, wurden die Iraner Mansour Nayavarghiiavegi und Habib Rozhkhan am 5. Oktober in einem Hotel in Ankara festgenommen und an den Iran ausgeliefert, obwohl sie über ein norwegisches, australisches und kanadisches Visum verfügten. Beide Iraner seien zum Tode verurteilt worden. Die Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge und Immigranten in Deutschland führt mehrere Beispiele von oppositionellen politischen Aktivisten auf, die nach ihrer Auslieferung in den Iran hingerichtet wurden.

Neben der Auslieferungspraxis der Türkei richtet sich der Protest gegen das Flüchtlingskommissariat der UN. Das UNHCR verweigert die Anerkennung des Flüchtlingsstatus, die die Abschiebung der Iraner verhindern bzw. ihre Reise in ein Drittland ermöglichen könnte. Die Nichtanerkennung der Iraner als politisch verfolgte Flüchtlinge und ihre Einstufung als „Touristen“ ist um so widersinniger, als die Streikenden in den Medien immer wieder in aller Schärfe das iranische Regime attackieren und Agenten des iranischen Geheimdienstes die Aktivitäten beständig observieren. Die Streikenden erklären deutlich: „Wenn wir in den Iran zurückgeschickt werden, droht uns der Tod.“