: In Japan soll in dieser Woche ein neues Sektengesetz verabschiedet werden, das den Einfluß religiöser Gruppen auf die Politik eindämmt. Die oppositionelle NFP, die von der Soka-Gakkai-Sekte unterstützt wird, lief bereits Amok Aus Tokio Georg Blume
Außen gesichtslos, innen allmächtig
Drei volle Tage währte der Boykott. Nächtelang hinderten Mitglieder der japanischen Opposition mit Sitzblockaden Regierungsabgeordnete am Verlassen des Parlamentsgebäudes. Erschöpft brach ein alternder Ausschußvorsitzender der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) nach Handgreiflichkeiten zusammen und mußte seinen Platz einem Jüngeren räumen. „Eine Fortsetzung der Blockade führt zu Blutvergießen“, warnte schließlich ein LDP-Sprecher.
Solche Szenen hatte es im höchsten Haus der japanischen Demokratie lange nicht mehr gegeben. Schlägereien unter Abgeordneten war man allenfalls noch aus Zeiten des Kalten Krieges gewöhnt, als sich Regierung und Opposition um die Auslegung der japanischen Friedensverfassung keilten. Anlaß zu dieser plötzlichen Rückkehr zur politischen Kultur der Unversöhnlicheit gab Daisaku Ikeda. Der legendäre Führer und Ehrenvorsitzende der buddhistischen Soka- Gakkai-Sekte sollte gestern vor einem Parlamentsausschuß aussagen, der ein neues Sektengesetz berät. Doch soweit kam es nicht.
Denn gegen die Vorladung Ikedas – den Berühmtheiten wie Stevie Wonder, Tina Turner, Roberto Baggio und mindestens 8,12 Millionen JapanerInnen (nach anderen Angaben sogar bis zu 17 Millionen) als ihr religiöses Oberhaupt anerkennen – opponierte die Neue Fortschrittspartei (NFP), Japans größte Oppositionspartei. Ihr Grund: Mit Millionen Mitgliedern, die ihrer Sekte auch an der Wahlurne treu bleiben, und einem geschätzten Vermögen von umgerechnet 140 Milliarden Mark bildet die Soka-Gakkai-Sekte heute die mit Abstand wichtigste Unterstützergruppe der NFP. So war der NFP jedes Mittel recht, um die Bloßstellung ihres versteckten geistigen Oberhaupts im Parlament zu verhindern. Statt Ikeda sagte gestern der Soka-Gakkai-Vorsitzende Einosuke Akiya aus.
Der Streit um den 67jährigen Ikeda markiert dennoch eine Zeitenwende: Prügeleien und Blockaden entlarvten die NFP erstmals als willfähriges Instrument von Japans mächtigstem Sektenführer. Der Inszenierung kommt deshalb Bedeutung zu, weil die NFP bei den Regionalwahlen im Sommer als stärkste Partei abschnitt und gute Chancen hat, nach vorgezogenen Parlamentswahlen im nächsten Jahr die Regierung zu übernehmen. Spätestens dann könnte sich die Frage stellen, ob Japan von Sekten regiert wird.
Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Parteienlandschaft der reichsten Industrienation der Erde radikal verändert. Von den Sozialisten, die einst eine mächtige Opposition bildeten, ist nur noch ein kränkelnder Koalitionspartner für die LDP übriggeblieben. Längst geht es in Japan nicht mehr um die Besetzung des politischen Vakuums seit Ende des Kommunismus. Ähnlich wie in den USA, wo Prediger und militante Christenlobbys immer größeren Einfuß auf die Traditionsparteien gewinnen, hat sich in Japan ein Wandel der politischen Basis-Kultur vollzogen: Nicht mehr Gewerkschaften, Verbraucherverbände und Bürgerinitiativen bilden das Rückgrat der größten Oppositionspartei, sondern die Sekte Soka Gakkai. Und auch die regierende LDP verliert langsam ihren Rückhalt bei selbständigen Berufsgruppen wie Bauern, Ärzten und Einzelhändlern. Besonders in den Städten ist sie schon heute auf die Wahlkampfhilfe von konservativen Glaubensgemeinschaften angewiesen.
Kein anderer aber verkörpert den religiösen Trend im politischen Leben Japans so sehr wie Daisaku Ikeda. Gleich dem Urtyp des japanischen Politikers, nach außen gesichtslos, nach innen allmächtig, zeigt sich Ikeda heute kaum noch in der Öffentlichkeit. Von seinen Anhängern als „sensei“ (Meister) verehrt, kann er dennoch auf deren bedingungslose Ergebenheit zählen. Das macht ihn seit Jahren zu dem am wenigsten erwähnten, aber am meisten gefürchteten Politiker des Landes.
Schon 1970 hatte das Sektenoberhaupt in der Monatszeitung Gendai angekündigt: „Ich werde der Mächtigste sein.“ Und erst in diesem Sommer feuerte er seine Unterstützer laut Medienberichten mit den Worten an: „Wir müssen das Land mit einem Streich erobern.“ Dabei ist der kaum 1,60 Meter große Ikeda bis heute nie Parlamentsmitglied gewesen. Ansehen erwarb er sich statt dessen durch sorgfältig inszenierte und medienwirksame Treffen mit Prominenten wie Richard von Weizsäcker, Michail Gorbatschow und zuletzt Nelson Mandela.
Der große Sprung in den parteipolitischen Mainstream gelang Ikeda vor einem Jahr: Da brachte der Sektenführer seine schon 1964 gegründete, bislang aber einflußlose Komei-Partei bei der Gründung einer neuen Oppositionspartei, der NFP, ein. Plötzlich fanden die Sektenbrüder innerhalb der NFP mächtige Verbündete – unter ihnen der ehemalige LDP- Kronprinz Ichiro Ozawa und die drei ehemaligen Premierminister Morihiro Hosokawa, Toshiki Kaifu und Tsutomu Hata. Diese bis heute populären Politiker stammen alle aus der LDP, verfügen jedoch seit ihrem Parteiaustritt nicht mehr über eine landesweite Organisation. Ihnen erschien die straff organisierte Sektenpartei als idealer Partner. „Die neue religiöse Gesetzgebung ist abstoßend. Sie erinnert an die Vorkriegszeit“, kommentierte kürzlich ausgerechnet der laizistisch geprägte Ozawa das geplante Sektengesetz. Ein Zeichen dafür, wie sehr der bislang als willensstärkste Politiker des Landes geltende Ozawa sich dem neuen Trend bereits angepaßt hat.
„Die Loyalität von Politikern im Dunstkreis der Soka Gakkai gilt zuerst Ikeda und erst dann dem Staat“, warnt der ehemalige Gesundheitsministers Keigo Ouchi. Nicht ausgeschlossen, daß solche Stimmen in Zukunft mehr Gehör finden. Die meisten Japaner haben seit den Erfahrungen mit dem religiösen Kaiserkult in der ersten Jahrhunderthälfte tiefe Vorbehalte gegen eine Vermischung von Religion und Politik. Ikedas Kunst aber besteht darin, diesen Zusammenhang zu verschleiern. „Soka Gakkai mischt sich niemals in die inneren Angelegenheiten politischer Parteien ein“, log gestern sein Stellvertreter Akiya vor dem Parlamentsausschuß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen