Schlampige Gesetzgeber gehen baden

■ Niederlage für Große Koalition und Wissenschaftssenator: Verwaltungsgericht erklärt Halbierung von Medizinstudienplätzen für verfassungswidrig. Studenten klagen sich ein. FU verklagt das Land Berlin

Das Verwaltungsgericht hat die vom Abgeordnetenhaus im Januar 1995 beschlossene Halbierung der Medizinstudienplätze gekippt. Die Zulassungsbeschränkung sei „willkürlich festgelegt“ und entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen, heißt es in dem Beschluß der 12. Kammer. 22 Medizinstudenten haben damit vor dem Verwaltungsgericht einen Studienplatz an der Freien Universität erstritten und der Großen Koalition eine Niederlage bereitet.

Weil durch die Zulassungsbeschränkung das Verfassungsrecht auf freie Berufswahl eingeschränkt wird, verlangen die Gerichte eine nachvollziehbare Begründung für den Abbau von Studienplätzen. Dies war in dem von den CDU- und SPD-Fraktionen gemeinsam eingebrachten Gesetzentwurf versäumt worden. Dabei hatte damals der gesundheitspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Bernd Köppl, die Abgeordneten auf die absehbare Verfassungswidrigkeit ihres Entwurfes hingewiesen. Die Abgeordneten von CDU und SPD hätten nicht begründet, warum sie die Zahl der Studienanfänger von 1.070 ausgerechnet auf 600 reduzieren wollten.

Dennoch war ein Änderungsantrag der Grünen im Abgeordnetenhaus gescheitert. Auch Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) hatte die Kritik der Grünen damals abgebügelt. Im April hatte dann ein Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes, das die Bündnisgrünen in Auftrag gaben, deren Bedenken voll bestätigt.

Dabei hätte es der Volljurist Erhardt besser wissen können. Bereits mit dem Studienplatzabbau bei der Veterinärmedizin 1992 und der Zahnmedizin 1993 hatte der Wissenschaftssenator vor Gericht Schiffbruch erlitten. Auch hatte das Verwaltungsgericht die fehlende Begründung für die Reduzierung der Studienplätze beanstandet. Mit dem jüngsten Urteil wurde das dritte Gesetz in Serie gerügt. „Für den Gesetzgeber ist das unwürdig“, kritisierte gestern der Bündnisgrüne Bernd Köppl. „Das kann sich auch eine Große Koalition nicht leisten.“

Ausbaden muß die mißliche Lage die Freie Universität (FU). Ihr hat das Verwaltungsgericht auferlegt, trotz des im Gesetz vorgeschriebenen Personalabbaus zusätzlich 22 Studenten aufzunehmen. Doch die FU wehrt sich. Sie hat beim Verwaltungsgericht eine Klage eingereicht, mit der sie die fünf gestrichenen Stellen in der Zahnmedizin und deren Finanzierung mit 500.000 Mark durchsetzen will. Wie FU-Sprecher Christian Walther gestern erklärte, sei es „denkbar“, daß man auch im Falle der Humanmedizin vor Gericht ziehen werde. Dorothee Winden