Rettungslos ausgeliefert

Der Startrinker Harald Juhnke wollte einmal Hans Falladas „Trinker“ spielen. Er tat es und tat es auch wieder nicht. (20.15 Uhr, ARD)  ■ Von Klaudia Brunst

„Nein, ich will nicht in diesem Totenhaus uralt werden und dann langsam verrecken“, läßt Hans Fallada seinen Helden Erwin Sommer am Ende der Erzählung „Der Trinker“ beschließen. „Ich will einen Tod sterben, wie ihn alle draußen haben können – nach eigener Wahl.“ Dabei ist das Schicksal des Kaufmanns Erwin Sommer längst besiegelt. Sein dauerhafter Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt ist per Gerichtsbeschluß verfügt worden, es gibt nur noch ein Entrinnen: den Freitod.

Als Rudolf Dietzen, genannt Hans Fallada, 1944 diese Zeilen schrieb, war auch er wieder einmal stationär untergebracht – in der Nervenheilanstalt Strelitz. Der Morphinist hatte im Affekt seine Frau Suse mit der Waffe bedroht. In nur 16 Tagen brachte Fallada den „Trinker“ zu Papier. In aller Eile, weil seine Zelle über kein künstliches Licht verfügte und er also allenfalls bis in die Nachmittagsstunden arbeiten konnte, und unter Aufsicht und darum in einer Art Geheimschrift, damit die Heimleitung seine Abrechnung mit der Sucht und dem Anstaltswesen nicht enziffern konnte. Erst 1950, drei Jahre nach Falladas frühem Tod, wurde die Erzählung veröffentlicht. Mit Erstaunen nahm die Medizin später zur Kenntnis, daß hier einer längst niedergeschrieben hatte, was die Wissenschaft erst jetzt anerkannte: daß Trunksucht eine Krankheit ist.

Für viele Alkoholiker wurde der schonungslose und doch um Verständnis bettelnde „Trinker“ zu einer Art Bibel; auch Harald Juhnke war von dem Schicksal des Erwin Sommers sofort elektrisiert. Immer wieder versuchte er, jemanden dafür zu begeistern, ihn den „Trinker“ spielen zu lassen. Beim WDR-Fernsehspielredakteur Martin Wiebel fand er schließlich Gehör. Eine klassische Literaturverfilmung, die hohe Schule des Fernsehspiels, paßte gut ins Konzept. Der Trinker Juhnke spielt den „Trinker“. Das wäre eine Herausforderung, würde Aufmerksamkeit erregen, beim Feuilleton und beim Publikum.

Dem Startrinker wurde vorsorglich ein Regiestar zur Seite gestellt – Tom Toelles penible Schauspielerführung ist berühmt berüchtigt – und ein bekannter Grenzgänger zwischen den literarischen und telegenen Welten, Ulrich Plenzdorf, hat die Buchvorlage eingerichtet. Man habe ihn lange überreden müssen, heißt es, an Fallada überhaupt zu rühren. Die Idee, den Plot in die Nachwendezeit zur verlegen, gefiel ihm gar nicht. Zu hoch ist Plenzdorfs Respekt gegenüber dem Literaten Fallada, als daß er ernstlich an dessen Werk herumwerkeln wollte.

Eine löbliche Abstinenz. Ist der „Trinker“ doch trotz seiner dramaturgischen Mängel ein höchst dichtes, mitreißendes Buch. Dennoch taugt die gehetzte, vor persönlicher Berührung strotzende Erzählung kaum als 1:1-Vorlage für einen Fernsehfilm. Zu sehr argumentiert der „Trinker“ aus der Rückschau des Ich-Erzählers Erwin Sommer. Fallada berichtet vor allem mit inneren Monologen über dieses dem König Alkohol gewidemeten Leben. Und der Reiz der Lektüre liegt natürlich nicht zuletzt in dem Wissen, daß der gestrauchelte, kranke, nicht mehr zu heilende Erwin Sommer in Wahrheit der Morphinist Hans Fallada selbst ist. Nun also kommt auch noch Juhnkes Biographie ins Spiel. Unweigerlich lädt er die sowieso schon überlastete Figur mit seiner eigenen Geschichte weiter auf. Harald Juhnke ist Erwin Sommer, der Hans Fallada ist – eine Gleichung, die scheinbar ohne Unbekannte auskommt – und doch Ratlosigkeit zurückläßt.

Denn Plenzdorf hat sich unmerklich seines Jobs entledigt, während er ihn erledigte. Handwerklich ist alles gelungen. Sorgsam hat er seine Filmadaption von den dramaturgischen Mängeln der Fallada-Vorlage bereinigt. Während das in Eile geschriebene Buch recht kunstlos in zwei Teile zerfällt – hier das zügellose Abgleiten in den Suff, dort die gerichtlich verfügte Verwahrlosung in der Anstalt – ist Plenzdorfs Bearbeitung aus einem Guß. Während Fallada seinen Helden zu Beginn des Buches als Abstinenzler beschreibt, ist Juhnke bei Plenzdorf schon ein Rückfälliger. Das motivert seinen rasch zunehmenden Alkoholkonsum, gibt dem Helden eine Vorgeschichte, die das Jetzt der Erzählung hinreichend erklärt.

Aber das Tempo der Erzählung, den Sog, die Zerissenheit, hat Plenzdorf getilgt. Hier gibt es keine inneren Monologe mehr, hier muß Erwin Sommers fortschreitender Verfall äußerlich bleiben. Die Kamera zeigt uns, wie der Bart wächst, die Hemden dreckiger werden, die Augen sich röten. Aber die innere Zerreißprobe, die traurige Erkenntnis, daß Erwin Sommer nicht gegen den König Alkohol wehren kann, das alles hat Plenzdorf nicht in die Drehbuchfassung retten können.

„Und nun schleiche ich mich zum Spiegel“, heißt es bei Fallada, „zu dem großen, langen Spiegel, in dem man sich von oben bis unten sehen kann, und ich betrachte mich von oben bis unten. Und ein fürchterlicher Schrecken packt mich, wie ich mich da stehen sehe in meinen ausgebeulten, beschmutzen Kleidern, mit dem grauschwarzen Halskragen, dem stoppeligen fahlen Gesicht, den rotgeränderten Augen. ,Das ist aus mir geworden!‘ schreit es in mir, und mein erster Impuls ist es, hinüberzustürzen zu Magda, vor ihr auf die Knie zu fallen und sie anzuflehen: ,Rette mich! Rette mich vor mir selbst.‘“

Nichts von diesem Schrecken, diesem Aufschrei ist in der Verfilmung übriggeblieben. Unfreiwillig bleibt Juhnke ausgerechnet in seiner Glanzrolle traurig blaß. Jutta Wachowiak als Erwins Frau Magda und Deborah Kaufmann als Erwins Weinstubenschönheit haben es da viel leichter. Sie sind auch bei Fallada nur fernes, schemenhaft skizziertes Personal. Das gibt der Wachowiak den Freiraum, sich auszuspielen, während Juhnke sich immerfort auspowern muß, um die Lücken zu schließen. „Ich spiele hier ja eine Figur, ich spiele nicht mich“, hat Harald Juhnke über diese Rolle gesagt. Er, der Trinker, hatte darum gebeten, einmal Falladas „Trinker“ zu spielen. Letztlich wurde ihm dieser Wunsch dann doch verwährt.