Sieben kleine Fledermäuse ärgerten die Hex' Von Nadja Klinger

„Frauenärsche und Männerärsche fasse ich gleichermaßen gern an.“

Dr. Bärbel Grygier, parteilose Bürgermeisterkandidatin der PDS in Berlin-Hohenschönhausen, in einem Filmporträt über sie auf RTL, 19. 11. 1995

Fast sechs Jahre sind seit unserer ersten freien Wahl vergangen. Immer noch glauben wir Ostdeutschen, daß so, wie wir wählen, sich unser Land verändern wird. 43,6 Prozent der Hohenschönhausener haben bei den Bezirkswahlen im Oktober ihre Stimme der PDS gegeben. Sie meinten, damit hätten sie gewonnen. Doch auch die selbsternannte Partei der Ostdeutschen braucht nur das Kreuz ihrer Wähler auf dem Zettel. Die wesentlichen Dinge entscheiden sich erst nach der Wahl, im parteiinternen Kreis, nachts, wenn fast ganz Hohenschönhausen schläft.

An einem späten Sonntagabend, kurz nach Mitternacht, wurde der Film über Bärbel Grygier gesendet. Nur die Bezirksverordneten harrten zu dieser Zeit noch vor dem Fernseher aus. Die Hoffnungen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ruhten auf der Bürgermeisterkandidatin. Vielleicht würde sie sich kurz vor ihrer sicheren Wahl mit den Stimmen der PDS noch selbst die Beine weghauen. Selbstverständlich würden sie dabei auch ein bißchen nachhelfen. Möglich ist auch, daß lediglich ein Abgeordneter pro Fraktion durchgehalten und den anderen den Film am nächsten Tag in den wesentlichen Punkten wiedergegeben hat. Vielleicht haben sich auch alle Abgeordneten gemeinsam einen Kollegen auserkoren, der einen Videorekorder besitzt. Der hat das Gerät natürlich nicht programmiert und ist schlafen gegangen, sondern hat sensationslüstern zugeschaut. Er sah Bärbel Grygier auf ihrem Sofa lümmeln und hörte sie sagen: „Erstens glaube ich, daß ich besser bin als alle anderen.“ Der Abgeordnete geriet in Erregung. „Ich selbst bin die Partei, die ich mir wünsche“, sagte Bärbel Grygier weiter. Das notierte der Abgeordnete für seine Kollegen von der PDS.

Schließlich sagte Bärbel Grygier den Satz mit den Ärschen. „Wann haben Sie das letzte Mal jemandem an den Arsch gefaßt?“ fragten die Filmemacher nach. „Heute, meinem Stadtratskollegen, der zuckt nicht“, antwortete sie. Für den Abgeordneten mit dem Videorekorder war damit die Sache gelaufen. Bärbel Grygier ist eine gefährliche Frau. Sie will wissen, mit wem sie es zu tun hat. Sie bleibt nicht auf Distanz. Wer solche Gewohnheiten hat, merkt es schnell, wenn dort, wo er hinfaßt, gar kein Arsch in der Hose ist.

Schon am nächsten Morgen geben die Parteien ihre Erklärungen ab. Bärbel Grygier sei „moralisch nicht tragbar“, sagt die CDU. Die SPD hält sie weder fachlich noch von der Konstitution her für geeignet. Bündnis 90/Die Grünen versprechen wenigstens Stimmenthaltungen. Sogar der PDS scheint das Benehmen der eigenen Spitzenkandidatin irgendwie recht zu sein. Die GenossInnen stammeln irgend etwas von „parteischädigendem Verhalten“. „Die BürgerInnen lehnen so eine Bürgermeisterin ab“, erklären die Abgeordneten schließlich gemeinsam und stellvertretend für die Hohenschönhausener, die zu dieser Morgenstunde, nichts Böses ahnend, gerade erwachen.

Das ganze Spektakel hätte auch nichts Böses bedeutet. Doch die Angst vor Leuten wie Bärbel Grygier, die auf ihre Art frei und unangepaßt sind, ist parteiübergreifend. Die PDS schickt sie auf Stimmenfang, will aber nichts mit ihnen riskieren. Bei der Bürgermeisterwahl am vergangenen Freitag konnte Bärbel Grygier die Angst vor ihrer Person in Gegenstimmen messen. Ob sie sich einmal überlegt habe, wie die Männer sich fühlen, denen sie auf den Arsch faßt, wollten die Abgeordneten in der Fragerunde von ihr wissen. Bis dahin hatten sie alle das Wort Arsch so oft ausgesprochen, daß es wie ein Markenzeichen an der Kandidatin klebte. Nach drei Wahlgängen war Bärbel Grygier als Bürgermeisterin vorerst gescheitert. Sie erhielt 20 Stimmen, 22 votierten gegen sie. Scheinbar fehlte ihr von der PDS, die 21 Abgeordnete hat, nur eine Stimme. Tatsächlich aber stimmten einige außerhalb der eigenen Reihen auch für sie, wie sie hinterher erfuhr. Die Partei, die Bärbel Grygier ins Rennen geschickt hat, hat sie einfach auflaufen lassen.

„Was ist los?“ will sie von den GenossInnen wissen. Vorsichtig schlagen die einen neuen Kandidaten vor und hoffen, daß Bärbel Grygier sich zurückzieht.

Ob sich die Wahl, die die Hohenschönhausener BürgerInnen im Oktober getroffen haben, wirklich auszahlt, hängt nun nur noch von Bärbel Grygier ab. Die PDS wird sich nicht trauen, ihre Spitzenkandidatin offiziell gegen einen anderen auszutauschen. Also muß sie durchhalten, bis sie gewählt wird. „Sind Sie sicher, daß Sie das schaffen?“ fragt sie einer von der SPD. „Ja“, antwortet sie. Aber keine Partei stärkt ihr den Rücken. Dabei hat Bärbel Grygier in dem Film nur von einem Traum erzählt. Sie fährt mit dem Spitzenkandidaten der SPD in einem großen Auto. Als beide aussteigen, nimmt er sie an die Hand und führt sie über die Straße. Bärbel Grygier erwacht. Da stimmt was nicht, denkt sie. Am nächsten Tag sagt sie dem Mann, sie müsse ihm was erzählen. Der antwortet, er hätte keinen Termin frei. „Ich habe von ihnen geträumt“, sagt sie. Da macht er auf dem Absatz kehrt. Sie betrachtet noch schnell seine Hände. „Sie haben ja viel zu kleine Hände, um mir zu helfen“, bemerkt sie. Sie ist ihren Kollegen Politikern um klare Worte voraus. „Er hat zu kleine Hände, um zuzupacken“, sagt sie im Film.

Deswegen die ganze Aufregung. Bärbel Grygier findet das prima. „Ich bin froh, daß endlich einmal alle intensiv über ein Thema reden“, sagt sie auf der Bezirksverordnetenversammlung noch lakonisch. Dann blieb sie mit der Frage, was sie sich selbst zumuten kann, allein. In der PDS jedenfalls wird den eigenen Leuten nicht an den Arsch gefaßt, sondern in den Arsch getreten.

Wir Ostdeutschen standen in den letzten Jahren bei jeder Wahl irgendwie vor der Frage, ob wir nicht die „ostdeutsche Partei“ wählen sollten. Einige von uns haben ihre Prinzipien. Sie werden, komme, was wolle, dieser Partei nie ihre Stimme geben. Andere haben sich der Partei aus aktuellem Anlaß zu- oder abgewandt. Wieder andere haben nie etwas anderes in Erwägung gezogen, als PDS zu wählen. Wir sollten uns die Frage nicht mehr stellen. Die PDS ist nicht anders als andere Parteien auch. Wo sie keine Mehrheiten haben kann, will sie wenigstens koalitionsfähig sein, wo sie Mehrheiten haben kann, hat sie keine Skrupel, und wo sie die Leute über den Tisch ziehen kann, tut sie es.

Der Segen bei Wahlen sind Frauen wie Bärbel Grygier, die Frauen wie Männern gleichermaßen gern an den Arsch fassen und darüber reden, zu welchen Erkenntnissen sie dabei gekommen sind. Ein Segen wäre es auch, wenn solche Frauen eine Wahl letztendlich gewinnen würden. „Sieben kleine Fledermäuse ärgerten die Hex'“, singt meine Tochter immer. „Die Hexe, die hat zugegrapscht, da war'n es nur noch sechs.“