In Tuzla herrscht gespannte Erwartung

Die Bevölkerung in der Stadt traut dem Frieden noch nicht so recht. Die Offiziellen aber versprechen sich von der Stationierung der Nato-Truppen einen wirtschaftlichen Aufschwung  ■ Aus Tuzla Erich Rathfelder

Vor dem Eingang des Militärflughafens und UNO- Hauptquartiers in Tuzla treten sich die Reporter auf die Füße. Sie warten ungeduldig auf die ersten US-Amerikaner, die jederzeit auf dem Flughafen landen sollen. Doch noch sind die Tore verschlossen. Und vor dem Tor geben sich die Neugierigen gelassen. „Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt.“ Amela K. ist Verkäuferin in einem Supermarkt. Die 35jährige schlanke Blondine ist zu Beginn des Krieges vom Ausland in ihre Heimatstadt zurückgekehrt: „Ich wollte nicht fliehen, ich wollte den Krieg mit meinen Leuten zusammen durchstehen.“ Ob jetzt Friede sein wird, weiß sie nicht genau. Doch die Amerikaner, so gibt sie zu verstehen, seien die einzige Macht, die Bosnien effektiv helfen wolle. In ihrem Supermarkt saß sie bis zum Frühling 1994 vor buchstäblich leeren Regalen. Damals, so erinnert sie sich, gab es mit den Kolleginnen tagein und tagaus nur ein Thema: „Wie und wo können wir etwas zu essen bekommen, wie können wir überleben.“ Manchmal habe sie tagelang geweint.

Amela verdient inzwischen sogar wieder etwas Geld: 100 Mark pro Monat, die Preise sind vergleichbar mit denen Westeuropas. Sie hofft auf einen der Jobs, die von den Amerikanern für Einheimische in Aussicht gestellt worden sind. 4.000 zivile Dienstkräfte sollen bei der US-Armee arbeiten. Wichtiger noch sei jedoch für sie, daß mit dem Abkommen von Dayton das Schießen aufgehört hat. „Ich kann wieder normal schlafen.“ Trotzdem macht sie der Friedensschluß nicht so richtig glücklich. „Wir wollten mehr erreichen.“

Ferida F. kommt aus Brčko und wurde im April 1992 zusammen mit ihren drei Kindern von serbischen Freischärlern vertrieben. „Sie kamen morgens und forderten uns auf, sofort unser Haus zu verlassen.“ Die Vertriebenen konnten nur die Kleidung, die sie am Leibe trugen, sowie ihre Ausweise mitnehmen. Seither lebt die Familie in Tuzla, unterstützt von internationalen Hilfsorganisationen. Über das Schicksal ihres Mannes weiß sie nichts.

Im Abkommen von Dayton ist die Rückkehr der Flüchtlinge versprochen worden. Doch die 50jährige Lehrerin kann sich das noch nicht vorstellen. Zwar hätten sich die serbischen Nachbarn damals anständig verhalten, die Radikalen seien ja von außen gekommen, doch im bosnisch-serbischen Teilstaat zu leben erscheint ihr unmöglich. „Wer garantiert unsere Sicherheit? Wir haben ja alle gesehen, was in Srebrenica und Žepa geschehen ist.“

In dem Bürgermeisteramt der ehemals 110.000 Menschen zählenden Stadt Tuzla – heute sind es angesichts der Flüchtlinge 160.000 – ist die Stimmung optimistischer. Bürgermeister Selim Beslagić, der eine Koalition aus Liberalen, Sozialisten und Reformisten führt, steht für die multiethnische Identität der Stadt. Daß es in Tuzla seit Beginn des Krieges keine ernsthaften Konflikte zwischen Muslimen, Kroaten und Serben gegeben hat, ist auch sein Verdienst. Hier empfindet man es als ein Symbol, daß die Amerikaner Tuzla für die Stationierung ihrer Truppen ausgewählt haben. „Die Amerikaner stellen sich mit der Wahl des Stationierungsortes auch hinter unsere multiethnische Politik“, vermutet Mirsad Kuslugić, ein Mathematikprofessor und enger Mitarbeiter des Bürgermeisters.

Mit der Stationierung von US- Truppen im Posavina-Korridor auf serbisch besetztem Gebiet sei ein entscheidener Schritt dafür getan, wesentliche Bestimmungen des Abkommens von Dayton auch durchzusetzen. „Die UNO war ja nur auf unserem Gebiet stationiert, nicht auf dem serbisch-besetzten.“ Und für Bürgermeister Beslagić eröffnet die amerikanische Entscheidung, eine Basis in Südungarn aufzubauen, zudem eine Chance, die Verbindungswege Tuzlas mit Kroatien wieder zu öffnen, die durch den serbisch besetzten Korridor bei Brčko unterbrochen sind. „Die US-Truppen werden von Ungarn aus die Straßen durch den Korridor nutzen, sie müssen dafür eine Brücke über die Sava reparieren und die Eisenbahnverbindung wiederherstellen.“ Langfristig käme dies auch dem zivilen Verkehr zugute. Dem stimmt auch Mirsad Kikanović, der Vorsitzende der muslimischen Partei SDA und ein Konkurrent Beslagićs, zu. „Mit den Nato- Truppen ergibt sich eine Chance, das Zusammenleben der Nationen in Bosnien-Herzegowina wieder zu ermöglichen.“