Fluch der eigenen Schönheit

■ Neu im Kino: „Nico-Icon“ von Susanne Ofteringer

Sie war angeekelt von der eigenen Schönheit; freute sich, wenn man ihr sagte, wie schrecklich sie aussah; war stolz auf ihre verfaulenden Zähne und die mit Heroinspritzen zerstochenen Arme. Fast jeder, der in diesem Film über seine Erfahrungen mit dem Kultstar Nico spricht, beschreibt sie als einmalig schön, aber auch als unglücklich, leer, und des Lebens überdrüssig. „Ein Lebensportrait von ihr gleicht eher einer Freakshow als einer Ikone“, sagt zu Beginn des Films ein Musiker aus Nicos Band in den 80er Jahren und bringt dabei die Wirkung dieses Films auf den Punkt. Das Erstaunliche dabei ist nur, daß dieser Gegensatz aufgehoben ist: Die ehemaligen Liebhaber, Verwandten, Künstler und Musiker können noch so schockierende und ungeschminkte Wahrheiten über sie erzählen, die Ikone Nico bleibt davon völlig unbeschadet. Sie wird sogar mit jedem deprimierenden Detail noch verführerischer und monumentaler. Ohne die Freakshow wäre Nico nichts.

Diese düstere Faszination zelebriert die Regisseurin Susanne Ofteringer geschickt in ihrem Dokumentarfilm. Dabei arbeitet sie letztlich ganz konventionell: Auf Interviews mit Zeitzeugen aus allen Lebensphasen Nicos folgen die passenden Photos, Filmaussschnitte und natürlich viel Musik von Nico und Velvet Underground. Von einem Prolog abgesehen erzählt Ofteringer streng chronologisch und verzichtet auf jeden eigenen Kommentar.

Aber die Lebensgeschichte Nicos ist so abenteuerlich und ungewöhnlich, daß man bei diesem Film gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommt. Während des Zweiten Weltkrieges in Köln als Christa Päffgen geboren, wird sie in den frühen 50er Jahren als Fotomodell entdeckt, geht nach Paris und ist von da an permanent auf Reisen. 1960 hatte sie einen kurzen Auftritt in Fellinis „La Dolce Vita“ und spielte damals schon sich selber: Mastroianni spricht sie mit ihrem noch ganz neuen Künstlernamen „Nico“ an, und sie erzählt ihm mit tiefer, schwermütiger Stimme, daß sie nie mehr als Mannequin auftreten wolle. Und genauso war es auch: Von nun lebte sie als Mitglied des Jet-sets unter den Berühmten und Erfolgreichen: Alain Delon, Bob Dylan, Andy Warhol, Jim Morrison, Lou Reed, Jackson Browne, Iggy Pop spielen wichtige Rollen in ihrem Leben. So bekommt man ganz nebenbei auch einige interessante Inneneinsichten f diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Und weil Nico so oft fotografiert wurde, an so vielen merkwürdigen Filmprojekten mitwirkte und von Warhol zum Superstar gemacht wurde, konnte Ofteringer aus einem riesigen Fundus von Bildern und Tönen auswählen.

Aber nie sieht man sie lächeln, nie scheint sie sich in ihrer Haut wohlzufühlen. Als es Anfang der siebziger Jahre nach dem Rausschmiß aus „Velvet Underground“ mit ihr bergab ging, als sie drogensüchtig wurde, ohne Geld in kalten, schwarzen Zimmern hauste und schließlich ihren eigenen Sohn dazu überredete, Heroin zu nehmen, da schien sie in diesem Elend ihre wirkliche Heimat gefunden zu haben. Diese Todessehnsucht schwingt bei jeder Einstellung mit, und so ist die erschreckende Konsequenz des Films, daß die Lebensgeschichte von Nico mit dem frühen Tod 1988 als eine Erfolgsstory endet.

Wilfried Hippen

Schauburg, täglich 22.45 Uhr