Taschenrechner gegen Illusionen

■ Bremerhaven: Stadttheater und Theater im Fischereihafen im Clinch/ Gezeter bei Podiumsdiskussion am Dienstag/ Fischereihafen-Theater-Chef Koettlitz träumt von einem kleinen Kampnagel-Zentrum in der Seestadt

Dicke Luft in Bremerhaven. Der heftige Streit um das „Theater im Fischereihafen“ (TIF) – seit langem unter der Oberfläche – ist nun öffentlich ausgebrochen. Schon im Frühsommer, beim Richtfest für die alte Halle der Fischversandstelle im Fischereihafen schwelte der Streit unter der Oberfläche. Zweifel wurden laut an der inhaltlichen Konzeption des selbsternannten Theaterintendanten Peter Koettlitz. Bislang hatte der rührige Ex-Lehrer und Theaterpädagoge im Stadttheater das Kinder- und Jugendtheater aufgebaut und dort gute Arbeit geleistet mit Laien. Reichte diese Erfahrung für den Sprung in die Profiliga, als künstlerischer Leiter eines professionell arbeitenden Theaters?

Dienstag abend, Komfort-Hotel im Fischereihafen. Der örtliche Presseclub hatte zur Diskussion geladen, und alle, wirklich alle, die in der Kulturszene irgendetwas zu organisieren hatten, waren erschienen. Auf dem Podium links und rechts außen – weit genug voneinander getrennt – saßen sich Peter Koettlitz und sein schärfster Kritiker der Intendant des Stadttheater Peter Grisebach gegenüber. Sobald sie losgelassen wurden, schlugen sie aufeinander ein.

Der Intendant des Stadttheaters, Peter Grisebach, ließ keinen Zweifel daran, daß er den Theaterpädagogen und künftigen Leiter des TIF, Peter Koettlitz, für inkompetent hält und seinen Vorstellungen vom Spielplan im Theater im Fischereihafen für illusionäre Blütenträume eines naiven Theaterenthusiasten hält. Koettlitz sei keinerlei professionelle Planung zuzutrauen. Resumee seiner Erfahrung mit dem ehemaligen Mitarbeiter des Stadttheaters, jetzt werde er Koettlitz auch die Nachwuchsarbeit nicht mehr überlassen.

„Rufmord“ erwiderte der angegriffene Koettlitz. „Wir wollen etwas Neues beginnen“, hatte er in seinem Vortrag angekündigt. Ein mißverstandener Kämpfer für die wahre Kunst? „Anfassendes und berührendes Tanztheater“, wie er es gerade in der Kulturetage in Oldenburg gesehen habe, wolle er nach Bremerhaven holen. Man habe schon Optionen, bei ein paar Gruppen angefragt. Teils belustigt, teils fassungslos verfolgte das Publikum den Schaukampf. Kulturdezernent Wolfgang Weiss versuchte sich mit ausgestreckten Armen hilflos im Brückenschlagen.

Das Ergebnis der Kontroverse: Eine Zusammenarbeit zwischen Stadttheater und TIF ist bis auf weiteres nicht in Sicht. Koettlitz bot sie auf Nachfrage an, Grisebach lehnte sie entschieden ab. Im Mai 1996 wird im TIF der Vorhang hochgehen. Auf dem Spielplan steht als erstes (programmatisch?) „Frühlings Erwachen“, ein Projekt von Profis und jugendlichen Laien. Darüber hinaus ist ein künstlerisches Konzept noch nicht vorhanden. Koettlitz träumt vom kleinen Kampnagel-Zentrum, er würde gern international renommierte Tanztheatergruppen nach Bremerhaven holen, sowie die Oldenburger und Bremer Szene (TAB, Shakespeare-Company und Junges Theater) einladen. Allerdings mußte er sich vorhalten lassen, daß für Gastspiele im Etat kein Pfennig vorgesehen ist. Sie müßten sich selber tragen. Teure Gruppen aber sind bei einem Saal von 200 Plätzen kaum zu finanzieren. Der Etat von 500.000 Mark wird mit 200.000 Mark von der Stadt aus Wirtschaftsfördermitteln bezuschußt, 80.000 kommen aus der Wirtschaft, 50.000 zahlt die Fischereihafenbetriebs- und Entwicklungsgesellschaft (FBEG), der Rest von 170.000 Mark muß eingespielt werden. Die Eintrittspreise liegen bei 20, 12 und – für SchülerInnen – 8 Mark. Noch im Sommer verteidigte Koettlitz seine anspruchsvolle konzeptionelle Arbeit mit avantgardistischen Tanztheater gegen den gezückten Taschenrechner der Kritiker. „Ich werde riskieren, daß bei manchen Veranstaltungen nur 50 Zuschauer da sind.“ Heute weht diesen Höhenflügen eine winterlich steife Brise entgegen. Denn die Stadt hat zwar ihren Beitrag zum Theateretat zugesagt, aber nur als Anschubfinanzierung. Auf die Frage, ob die FBEG nach dem Ende der dreijährigen Laufzeit des Experimemts den Beitrag der Stadt übernehmen würde, gab es eine eindeutige Antwort: Nein. Reaktion im Publikum: Wer mit solchen Kalkulationen zur Bank gehe, könne die Koffer packen.

Hans Happel / taz